Tag 24 seit dem Close-Down aller Veranstaltungen, Tag 23 nach der Schließung der Kneipen und Clubs, Tag 21 nach der Schließung der Grenzen, Tag 19 nach dem Öffnungsverbot für alle Geschäfte, die nicht versorgungsrelevant sind, Tag 13 nach dem allgemeinen Gebot, sich maximal zu zweit in der Öffentlichkeit zu versammeln.

Ok, ich habe wieder Klopapier. Momentaner Stand: sieben Rollen. Yay!

Letzten Dienstag dachte ich kurz, die Hamsterkrise habe sich entschärft, denn es gelang mir im Supermarkt nicht nur zwei Tüten H-Milch zu ergattern, sondern auch einen Viererpack Klopapier. Es lagen noch 5-6 Packungen im ansonsten leeren Regal. Als ich in einem leichten Euphoriezustand der Kassiererin meine Freude über die normalisierenden Verhältnisse ausrücke, antwortet sie mit einem leicht sarkastischen Lächeln: „Na ja, wir haben heute morgen eine Lieferung erhalten. War aber nicht viel.“

Dienstag morgen, gegen halb elf, und die Klopapier-Lieferung geht schon wieder zuneige.

Was mir als Historiker auffällt ist, dass der Deutsche kein überlebensfähiger Organismus ist. Wie der Nationalsozialismus diesen Volksgenossen zur überlegenen Spezies hochbeten konnte, ist mir angesichts des Klopapier-Regals schleierhaft. Mehr noch, es scheint, als wären zahlreiche Lektionen aus den Jahren um 1918 und 1945 wieder in Vergessenheit geraten.

Was den Deutschen durch die Versorgungskrisen brachte, waren immer Schnaps, Schokolade und Zigaretten.

Die Verdreifachung meiner Vorräte, festgehalten im Bild.

Und heute? Wischpapier. Nudeln. Und sogar Toastbrot. Leute, es gibt nichts Verderblicheres und Nährstoffärmeres als Toastbrot. Reiskekse vielleicht noch. Damit überlebt ihr keine Woche. Der Deutsche: Vom Aussterben bedroht, nicht wegen „Islamisierung“ und Emanzipation, wie die Partei mit dem „A“ als Stempel auf der Stirn suggeriert, sondern durch die fixe Volksidee, Klopapier sei die passende Survival-Ausrüstung für einen Endzeitfilm.

Mit Schnaps, Schokolade und Zigaretten konnte man sich im Zusammenbruch des Systems – und sind wir ehrlich, die Hamsterer erwarten dieses Ereignis mit perverser Sehnsucht – immer alles besorgen, ja Schnaps, Schokolade und Zigaretten waren gerade zu die Ersatzwährung in den Zeiten der deutschen Apokalypse. Na gut, auch Auto- und Fahrradreifen gehörten in diese Kategorie, aber die sind schwerer zu lagern.

Habe das Blogschreiben kurz unterbrochen, um Schnaps, Schokolade und Zigaretten auf die Einkaufsliste zu setzen.

Falls die völlige Apokalypse ausbleibt (ich glaube, das wird so sein), kriege ich den Schnaps und die Schoki schon irgendwie weg und die Kippen kann ich den zahlreichen rauchenden Lehrer*innen, die ich kenne, schenken.

Verlassen wir ein wenig diese zynische Witzelei hier, sie klingt ein wenig bitter. Inzwischen stellt sich in der Krise bei mir so etwas wie Alltag ein. Wach werden, Tee kochen, neueste Zahlen checken, Online-Zeitung checken, schauen ob ein paar Leute, denen ich folge, was Neues gepostet haben. Duschen, Was anderes anziehen, als ich zum Schlafen trage. Dann Planung: Was tue ich heute? Haushalt? Zocken? Schreiben? Herumbasteln? Online-Rollenspiel vorbereiten? Damit füllt sich der Tag. Zwischendurch kleine Mittagsmahlzeit, Abends was Ordentliches kochen, Tagesschau. Danach dann erstaunlich oft Videochats mit diversen Gruppen mit diversen Aktivitäten. Einmal die Woche einkaufen.

Oder ich werkel im KKT an Wänden, Böden und Bühne, dann flitze ich gegen 9:30 auf dem Tretroller den Kesselhang hinab und bekomme im KKT-Büro meinen ersten Kaffee. Diese Tage sind dann erfrischende Ausflüge in die Welt der konkreten Materie – mit Menschenkontakt ohne Bildschirmeinsatz, Essensaufnahme in Gesellschaft und körperlicher Arbeit. Nächste Woche steht die Schalldämmung der Unterbühne an, habe ich auch noch nie gemacht, das wird schön. Falls man bis dahin nicht auch das Ehrenamt, wenn es nicht im Gesundheitsdienst stattfindet, als Maßnahme verbieten wird.

Ich habe gestern zum ersten Mal in meinem Leben einen Mitgliedsantrag in einem Verein ausgefüllt und abgeschickt. Wenigstens das hat mein Sabbathjahr gebracht, aber ich finde den Laden sympathisch und unterstützenswert. Dumm gelaufen.

04.04.2020, 9:47: 91.159 Infizierte, 1.275 Tote, 24.575 Gesundete

Von offizieller Seite erhält man nicht viele Aussagen dazu, wie lange wir mit dem neuen Deutschland noch rechnen müssen. Alles, was dazu verlautbart wird, bezieht sich in der Regel auf mangelnde sichere Datengrundlagen oder die ausstehende Evaluation von Maßnahmen. Das Maximum an Vorbereitung der Bevölkerung auf das Kommende ist meistens der Satz, man sei noch „ganz am Anfang“ der Pandemie. Wenn man mal ein wenig Rechenmodelle von Wissenschaftlern und Instituten recherchiert, dann kann man durchaus auf dieser Grundlage zu weiteren Schlüssen kommen, aber zu keinen schönen. Es ist utopisch, dass nach Ostern Deutschland wieder aufmacht. Es ist utopisch zu glauben, man könne Schulen und Freizeitaktivitäten bereits in vier Wochen wieder anlaufen lassen. Dieser Zustand wird so noch sehr lange dauern. Sehr lange.

Mittlerweile gibt es deutlichen Druck im öffentlichen Diskurs, die Maßnahmen zu lockern, vor allem von Seiten der Wirtschaft, aber auch von Bildungspolitikern. Wenn man den viel zitierten Zustand der „Herdenimunität“ von 60 – 70 % der Deutschen erreichen will, dann dauert der Lockdown je nach imunisierter Dunkelziffer auf dieser Reproduktionsrate noch ein bis zwei Jahre. Bei dem, was wir heute über das Virus annehmen. Das würde unsere Gesellschaft, unsere Ökonomie, unser System wohl tatsächlich nicht aushalten können. Die andere Lösung ist, die Reproduktionsrate so zu drücken, dass die Verbreitung des Erregers nahezu zum Erliegen kommt. Modell Wuhan. Die dritte Strategie wäre, die Schleusen zu öffnen und Leichensäcke zu stapeln. Schnell vorbei, viele, viele Tote, womöglich auch die eigenen Eltern.

Modell New York und New York ist erst am Anfang.

Keine schönen Aussichten. Vielleicht will deshalb keiner öffentlich Aussichten diskutieren. Aber man sollte dringend. Denn was mir im Diskurs gerade schmerzlich fehlt, ist die Überlegung, wie man nach dieser Geschichte wieder zurückkommt zu dem, was wir einmal waren. Ob wir wieder sein wollen, was wir einmal waren. Ich fände die Rückkehr des gewohnten Europas extrem wichtig, wir benötigen dringend einen Fahrplan zurück zur freiheitlich-demokratischen Bürgergemeinschaft. Wann immer man den nun starten könnte. Aber gerade die EU erweist sich in dieser Situation als besonders schwach und einflusslos, sie ist geradezu innerhalb von Tagen zu einer zweiten UNO geworden, in der eine hilflose Vorsitzende mit Föhnfrisur es nicht schafft, die Krise wegzulächeln.

Puuuuh, es ist besser sich auf den momentanen Tag zu konzentrieren als in die Zukunft zu blicken. Ich habe ein kleines Schreibprojekt begonnen. Mal sehen, ob ich mich traue, Teile davon mal in den Blog zu stellen. Es ist ziemlich verschroben.

Bis dahin bleibe ich ein alternder Typ ohne Rolemodel, aber mit sieben Rollen Klopapier.

Damit komme ich eine Weile klar.

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4 Kommentare

    1. Ich glaube, das ist sehr individuell, je nach Technik und Stuhlgang des Nutzers. Wie langweilig muss jemand sein, der einen Klopapierrechner programmiert? Allerdings sind die Klicks, die das einfängt, natürlich verführerisch … 🙂

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  1. Die Pandemie verändert uns alle, meiner Meinung nach. Wie uns auch die beiden Weltkriege und die Wende verändert hat. Es gibt kein zurück zu alten Verhältnissen. Ja, du hast recht: von der Leyen setzt fort, was sie in ihren Ministerien tat – heisse Luft schön präsentieren. Deswegen enttäuscht sie mich nicht einmal. Trotzdem erwarte ich von den EU- Mitgliedern mehr Solidarität und Zusammenhalt. Das ist bisher eher peinlich bis schlimm.

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