Es ist der 17. August 1998 in Florenz und ich schiebe mich durch das Gewühl. Hier vor der Ponte Vecchio ballt sich die Touristenmasse zusammen und strömt im Kriechgang durch die Gassen, ein vielköpfiger Tausendfüßler der über das Kopfsteinpflaster schlurft, vorbei an den immer gleichen Souvennir-Läden und Schnell-Restaurants, auf der Suche nach dem authentischen Erlebnis, das der Reise-Heerwurm selbst längst vernichtet hat. Durch die überfüllten Gehwege knattern Kleinwagen und schieben sich hupend Busse, es ist unerträglich, ich will nur noch raus.

Halt – das ist eine Lüge. Es ist gar nicht 1998, es ist 2024, auch nicht August sondern der 20.09. und ich bin auch nicht in Florenz, sondern in Porto, dem ehemaligen Geheimtipp, Endpunkt meiner langen Tour-Planung, der mich nun maßlos enttäuscht. Sonst ist alles wahr: Das Gewühl, der Massentourismus, die komplette Umgestaltung der Altstadt. Es stinkt nach Abgas. Presslufthämmer dröhnen.

Über dem Straßenbild noch ganz hübsch: Porto

Zunächst einmal roch es in der Nacht ganz im Wortsinn nach Scheiße. Ich weiß nicht, ob es Rolf aus Regensburg war oder ein anderes großes Wohnmobil. Aber ich erwache, weil es in Gaspard hineinriecht. Das ist der Grund, warum irgendwann Camper nur noch auf Campingplätzen parken dürfen: Weil es eklige Arschlöcher wie dich gibt, Rolf. Die nachts heimlich den Kakawassertank ablassen. Wenn man schon zu den Perversen gehört, die unbedingt ihre eigene Scheiße in ihrem Riesenbus mit sich rumfahren müssen, anstatt sie auf der Raststätte oder im Restaurant zu lassen, dann hat man seinen privaten Ekel-Tank auf den offiziellen Serviceplätzen abzupumpen.

Dann riecht es kurz hinter der portugiesischen Grenze nach verbranntem Holz. Ja, da war mal was auf der vierten oder fünften Seite der Meldungen: Waldbrände in Nordportugal. Klimakatastrophen-Berichterstattung klickt aber leider nicht so richtig, lieber die Messerattacken ganz vorne featuren, aber ja: Hier kann man das Phänomen eben schlechter ignorieren.

Und dann war da Porto: Eine Ansammlung von Fehlern, von Overtourism und von Flüchen, die auf der Stadt liegen.

Mein Stellplatz war tatsächlich echt gut. Abgelegener Park am Grund einer Stadtschlucht, Picknicktische, kleiner Bach, nur 4,5 Kilometer von dieser Brücke gelegen:

Und das war gerade der Fehler Nummer eins: Porto ist eine Stadt, in der ganz selten Fahrradfahrer zu sehen sind, und das hat Gründe. Erstens: es gibt so gut wie keine Fahrradwege. Nirgendwo. Zweitens: Die steile Lage am Douro-Tal macht das Fahren zur Qual. Hoch, runter, Lunge brennt, Beine Gummi. Drittens: Porto besteht quasi fast nur aus Kopfsteinpflasterstraßen. Shit.

Aber ich schaffe es ins Zentrum. Und Wow, ist diese Brücke hoch und cool und der Blick davon fantastisch. Wenn man es schafft stehen zu bleiben. Ich frage mich, mit wie viel tausend Menschen Gustav Eifel bei der Konstruktion gerechnet hat, aber Porto reizt das Maximum ziemlich sicher aus. Durch diese Massen pflügt wild klingelnd die Metro, und das ist gut so, denn sonst kämen täglich dutzende Touris unter die Räder.

Ja, das da hinten sind alles Menschen. Und das ist noch eine breite Straße.

Zugegeben: Es sind kaum Familien mit Kindern in der Masse unterwegs. Der Touri-Heerwurm besteht zur Hälfte aus Rentner*Innen (maßlos überfordert) und jungen Pärchen (maßlos romantisch). Ich kann Pegasus hier eigentlich getrost vergessen – was auch noch passieren sollte. Fahren kann man ihn nicht, und schieben eigentlich auch nicht. Die Bürgersteige sind extrem schmal, durch die Altstadtgassen pflügt ungehemmt Autoverkehr, Motorrikscha, Oldtimertour und Rund-Doppeldecker-Bus. Ampeln bleiben für Fußgänger mehrere Minuten rot, so dass sie beim Warten von den engen Bürgersteigen quellen wie aufgehender Hefeteig, was zu empörten Hup-Attacken führt. Überall nur Souvenirshops, Sushi-Läden und Snackbars. Vor allen Kirchen Warteschlangen von Besichtigungsfreudigen.

Wie wenn Walt Disney eine Altstadt aufkauft und effektiv verwertet.

Es reicht. Ich muss hier raus. Egal welche Richtung, weg vom Zentrum. Osten, Richtung Fluss entlang. Folgender Plan: Abends soll in einer Bar eine Schweizer Hard-Rock-Band spielen. Zeit totschlagen, was Essen, dann zur Bar, Eintritt hinlegen, Kontrastprogramm zu Walt-Porto-World finden.

Ich finde in einem Arbeiterviertel eine kleine Bar mit Fast-Food. Publikum sieht nach Gang aus, aber die Wirtin ist nett und das Essen ok.

Ich schließe Pegasus, weil ich noch Zeit habe, nahe des Parkplatzes Trinidade an ein Verkehrsschild und gehe zu Fuß weiter. Eine Stunde später stehe ich wieder auf besagter Brücke und starre in den Sonnenuntergang. „Schöööön“ denken sich 3500 Tourist*Innen um mich herum- und ich halt auch. Dann schnell in die Metro hüpfen, zur Station Trinidade düsen, Pegasus holen, Bar finden, Konzert hören.

In der Metro treffe ich auf eine Gruppe junger Menschen aus Hogwarts. Als ich sie anspreche, erfahre ich, dass ihre Uniform gar keine Harry-Potter-Convention darstellt, sondern das traditionelle Outfit ist, mit dem hiesige Stundent*Innen die Studienanfänger*Innen begrüßen. Aber J.K. Rowling, die man vielleicht als bekannte Haß-Tweet-Autor*In auf X kennt, war mal in Porto und hat ihnen das Design geklaut.

Dann beginnt der Fluch von Porto. Aber eigentlich ist es nur meine Inkompentez: Ich finde Pegasus nicht mehr. ICH FINDE PEGASUS NICHT . In der Dämmerung sehen alle Straßen plötzlich gleich aus, außerdem schiebt sich jetzt eine unübersehbare Masse aus Hungrigen und Autos durch die Sträßchen. Warum habe ich mir keinen Punkt auf Maps gesetzt? Am Parkplatz Trinidade, es war so einfach! An diesem Casino bin ich doch safe vorher vorbeigekommen? Wie oft gehe ich diese Straßen jetzt schon ab und suche mein Fahrrad? Wo ist mein Rad abgeblieben?

Ich hasse aber auch alles andere hier, keine Sorge. Die fressenden Touris, die herumwieselnden Bedienungen, die auf der Straße herumpalavernden Kleingruppen von Freunden, vor allem aber die fackkackstörenden Autos, die trällernden Gitarrenhansel in jeder Bar, die Italoschlager und Buena-Vista-Social-Club schrammeln, die Leuchtreklamen, alles, alles hasse ich an dieser Stadt, während ich jeden Pfahl auf meinem Weg abscanne. Nach über einer Stunde Gewandere, Konzert kann ich längst vergessen, bin ich mir sicher: An dieser Ecke war es. Hier steht ein Parkschild, da muss es gewesen sein. Der Platz ist leer, Pegasus wurde geklaut.

Wir drei sind ein Team. Gaspard, Pegasus und ich. Wir haben alles zu dritt gemacht. Ohne Pegasus wäre alles weitere leer und bedeutungslos.

Schwer schluckend, denn ich hänge an diesem Drahtesel, gehe ich zurück zur U-Bahnstation gleich neben dem Parkplatz. Ich biege in eine letzte Gasse ein und blicke auf einen breiten Altherrensattel: Pegasus! Warum hatte ich diesen Weg bis jetzt übersehen? Warum merke ich mir Dinge so schlecht!? Oder ist es der Fluch, der ein UNGESEHEN-UNGEMACH über das Sträßlein legt???

Kein Bock mehr auf irgendwas, schnell den Weg zum Park gesetzt. Nach 20 Minuten merke ich, dass Google mir den Weg für Autos sucht. Riesen-Umweg. Mein Frontlicht ist kaputt. Es geht immer bergauf. Mein T-Shirt ist scheiß-nass. Noch 15 Minuten laut Maps. Da, am Rand, eine Snackbar! Vollbremsung.

Porto (Symbolbild)

Der Laden ist nüchtern in einer Betonblockecke verbaut. Davor auf den Hofplatten ein Zeltdach und mehrere Super-Bock-Tische, neben dem Eingang ein Take-Away-Fenster. Ich reiße mir den Fahrradhelm vom Kinn und wanke an die Außentheke wie ein Ertrinkender an einen Strand. Paco sieht mich und weiß genau was los ist.

Paco heißt nicht Paco, das ist mir klar. Paco ist vielleicht 10 Jahre älter als ich, hat einen Schnauzbart und ihm gehört der Laden. Paco spricht nur Portugiesisch. Ich nicht. Aber wir führen, und das schwöre ich, folgenden Dialog in der universalen Thekensprache, bei der man sich ohne gemeinsame Begriffe versteht.

Paco: „Na, mein Freund, wie kann ich dir helfen?“
Ich: „Ich brauche jetzt ein Bier. Wirklich.“
Paco: „Das sehe ich, Amigo. Ich habe das für dich. Großes oder kleines Bier?“
Ich: „Auf alle Fälle ein großes.“
Paco: „Kommt sofort“ (er zapft) Hier, setz dich. Lass dir Zeit beim Trinken.
Ich: „Danke, Paco. Bist’n Guter.

Das Superbock ist genau zwei Grad unter der perfekten Temperatur, um ihn richtig geil zu machen. Der erste gute Moment an diesem Abend. 30 Minuten später liege ich mit schmerzenden Beinen in Gaspard und schwöre mir:

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3 Comments

  1. Oh Mann, da findest du dich auf den Schlachtfeldern um Verdun zurecht wie in deiner PC-Ordnerstruktur… Und dann sowas? Ich bin ja echt gut in Orientierung… also im echten Leben, nicht auf dem Heldenbogen! Nimm‘ mich einfach das nächste Mal mit!

    Aber ich bin froh, dass ihr drei wieder vereint seid.

    Irgendwie erinnert mich diese Story an Don Quichotte… Der Kampf gegen den Touri-Heerwurm, der Diebstshl des Stahl- ( oder Alu?) Rosses, der Kampf gegen den Umweg und den Anstieg, der treue Paco… herrlich geschrieben, allein ich bin froh nicht dabei gewesen zu sein. Als Blitzableiter für deine Scheißlaune hätte ich nicht herhalten wollen!🤪

    Schafe, dass dein Traumziel zum Albtraum würde! Genieß‘ das Leben trotzdem! Und schreibe weiter so unterhaltsam über die unschönen Seiten des Lebens. So verlieren sie etwas von ihrem Schrecken 😀

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