Zum ersten Mal wache ich auf, weil mir kalt ist. Selbst schuld, wenn ich noch extra auf einen Berg zum Pennen fahren muss. Die Welt ist grau und neblig und wird durch einen heißen Kaffee etwas besser. Während des Frühstücks versuche ich zu recherchieren, wo man in Rom gut einen Camper abstellen kann und stürze in ein Rabbithole aus Horrorstories. Ungefähr an jedem Spot in einem 20 Kilometer Umkreis um Rom wurden Leute regelmäßig beraubt, wurde eingebrochen, gleich die Karre geklaut, von Drogendealern bedroht oder von der Polizei belästigt.

Ich war vor einigen Jahren fünf Tage in Rom und habe da schon viel gesehen. Auch auf den Stadtverkehr dort habe ich wenig Bock, wenn man bedenkt, wie Italiener schon außerhalb der Großstadt so fahren. Hmmm – weit raus fahren und den Zug nehmen? Da fällt mir ein Name auf der Karte ins Auge.

Anzio?

Heute kennt Anzio niemand mehr. Na ja, außer die, die eine ungute Faszination für die Geschichte der Weltkriege haben. Also ich. In Anzio fand 1944 eine alliierte Landung statt um den deutschen Sperriegel zu umlaufen. Die Wehrmacht wird zunächst völlig überrascht durch den Move in ihren Rücken, aber der kommandierende Befehlshaber der Amerikaner verschläft den Moment und gibt dem Gegner zu viel Zeit zu Gegenmaßnahmen, so dass am Ende die Aktion vier Monate im Brückenkopf stecken bleibt.

Anzio.

Es sind sechs Stunden Fahrt bis dahin und es sind anstrengende sechs Stunden. Nebel, Nieselregen, italienische Kleinwagen. Nur eine Playlist, die mir ein lieber Freund zusammengestellt hat, versüßt mir etwas die Fahrt. Von der Toskana sehe ich praktisch nix. Vor Rom klart es etwas auf und ich schöpfe schon Hoffnung. An der Ausfahrt ist eine Zahlstation. Sie nimmt meine Karte, spuckt eine Fehlermeldung aus, einen kleinen Kassenzettel mit viel Italienisch drauf und öffnet eine Schranke. Erst als ich an der nächsten Tanke mir den Zettel genauer ansehe, und dann aus Misstrauen Google Lens anschmeiße, kommt heraus: Es ist eine Rechnung, zahlbar in 14 Tagen. Anstatt mir eine andere Zahlungsmöglichkeit anzubieten für meine EC-Karte, die gestern tadellos funktioniert hat, wird man durchgewunken, checkt aber ohne gute Italienischkenntnisse nicht, dass man gar nicht bezahlt hat, und darf dann auf die Mahnung warten. Die Zahlungsprozedur – und natürlich kann man nicht gleich bezahlen, weil erst vier dressierte Affen im Vatikan die Daten händisch an den zentralen C64 der privaten Autobahngesellschaft übermitteln müsen – die Zahlungsprozedur verspricht lustig zu werden. Ungefähr so easy, wie seinen Führerschein umschreiben lassen in Stuttgart.

Italien kann so schön deutsch sein.

Ich bin gottfroh als ich in Anzio aussteige und direkt vor dem Parkplatz liegt: das Meer. Gleich geht es mir besser. Ich laufe über einen fast komplett einsamen Strand, strecke die Nase in den Wind und genieße 14 Grad. Am Ende kriege ich sogar noch einen Hauch Sonne obendrauf. Ja, Berge: Kann man machen. Aber Meeeeeeer ….

Endlich Palmen! Beleuchtet!

Anzios Landungsmuseum ist absolut sehenswert, weil es aussieht, als wäre es seit Jahrzehnten komplett unverändert. In einem einzigen großen Raum drängen sich tausende Artefakte, kein Fleckchen Wand wurde ausgelassen. Dabei ist die didaktische Konzeption einzigartig: Nach Familie. Offensichtlich besteht das Museum aus Privatsammlungen der Einwohner, und alle Leihgaben aus einem Haushalt haben eine eigene Vitrine, so dass sich fröhlich die einstmals verfeindeten Nationen in diesem Kriegsschrott wieder mischen. Viel von dem Zeug sieht genau so aus wie das, das ich in meinen Wäldern so finde. Einige Helme und Waffen sind derart muschelverkrustet, dass sie sich garantiert mal in einem Fischernetz befanden. Als Krönung wird ein Lehrfilm der Amerikaner aus den späten 40ern über die alliierte Italienkampagne gezeigt. Es passt alles ganz wunderbar zusammen. Ich spende 5 Euro (Eintritt war frei) und der Typ vom Empfang schenkt mir einen Kugelschreiber..

Ich esse eine billige, etwas gewürzarme Pizza, genieße die Weihnachtsbeleuchtung in Anzio und suche mir einen Platz weit draußen. Ich stehe nun für die Nacht auf einem Fischerkai an einem Kanal. Er ist sehr breit, sehr abgelegen, und voller Netze und Bojen. Es müffelt ein bisschen nach dem, was Fischfreunde lieben und normale Menschen nicht so gern riechen. Kein Fischer weit und breit.

Mal sehen, wie das morgen früh ist …

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