Oh mein Gott, ich sitze gerade in einem Horrorfilm! Das meine ich null metaphorisch, etwa nach dem Motto „Gaspard hatte einen Unfall“ oder „mein Geld und meine Ausweisdokumente sind weg“, sondern ganz buchstäblich! Hier gibt es auch kein Netz, also werde ich meine letzten Zeilen nicht mal hochladen können, bevor mich das Biest aus den Wäldern erwischt.

Und alles nur, weil ich auf das einzige Tannenbäumchen im Umkreis von Neapel geklickt habe. Ein Tannenbäumchen zeigt in der App einen Freistehplatz mitten in der Wildnis an, ohne Service und Betreuung. Und davon gab es im ganzen Großraum Neapel genau einen.

Jetzt sitze ich unter diesem Tannenbaum und höre das Heulen.

Es ging schon damit los, dass mich Google Maps durch die unmöglichsten, verregneten Kleinstadtsträßchen gejagt hat. Maps ist in Italien ganz besonders schlecht und fehleranfällig, kennt keine Einbahnstraßen, setzt Durchfahrten auf die falsche Seite des Häuserblocks und so weiter. Also alles ganz normal, ich stecke mit Gaspard in Gassen, die ungefähr zwei Finger breiter sind als er selbst. Danach kam aber das Serpentinensträßchen in die Berge. Irgendwann war es nur noch halb asphaltiert, weil die Seite zum Steilhang total abgefahren ist. Wenigstens war kein wütender italienischer Kleinwagen hinter mir, der mich aufgebracht bedrängte. Jetzt weiß ich, dass der Grund dafür war, dass kein Einheimischer so wahnsinnig wäre, nach Einbruch der Dunkelheit in diese Wälder zu fahren.

Dann kam der Nebel

Ich habe nur einmal einen so dichten Nebel erlebt, und da hatten wir ein Radar an Bord. Ich habe buchstäblich rechts und links die Straße nicht gesehen. Das ist schlecht bei Serpentinen. Im ersten Gang schleiche ich angestrengt durch die Suppe, dass ich am Ziel bin verrät mir nur die Karten-Navigation. Ich bin noch nie im Leben ausgestiegen, um mit Rotlichtlampe die Straße vor mir abzugehen, weil ich durch die Windschutzscheibe praktisch nichts mehr sehe. Gerade eben schon. Mit Müh und Not zu Fuß den Parkplatz gefunden und den Bus drauf abgestellt.

Aber ich habe ihn gefunden, den Parkplatz an der einsamen Grillhütte. Hoch über dem Golf von Neapel. Ich habe ihn gefunden und dachte mir: Gottseidank!

Aber jetzt ist da dieses Heulen im Wald.

Es schwellt langsam auf und ab, endet manchmal mit einem rauchigen Kläffen, nur um dann wieder anzusetzen. Und es bewegt sich irgendwo da draußen im Nebelwald hin und her. Ich weiß nicht, ob es so weit unten in Italien Wölfe gibt. Aber vermutlich sind es auch nur streunende Hunde? Nicht, dass ein Rudel streunender Hunde gerade weniger beunruhigend wäre.

Vermutlich ist es aber der Werwolf von Tarker Mills.

Und ich bin das einzige Stück Beute in seinem Revier. Er muss nur diese Blechdose knacken. Wie kriege ich mich nun abgelenkt? Vielleicht erzähle ich einfach mal von Pompeii, bis die Bestie mit geifernden Lefzen durch mein kleines Fenster bricht.

Pompeii – jeder kennt Pompeii. Ständig Fotos, Dokus. Alexandermosaik und so. Vestibühl mit Atrium. Klar, kenn ich, sollte man sich wohl mal ankucken.

Kennst du nicht.

Hier kommt mein ultimativer Pompeii-Guide, für alle, die nicht wissen, worauf sie sich einlassen.


1.) Buche online. Mit dem Strichcode auf dem Handy kommst du rein. Wenn du nur einen Tag Zeit hast, reicht das reine Pompeii-Ticket, zu mehr kommst du nicht.


2.) Geh nicht im Juli oder August. Du wirst kaum Schatten finden, aber sehr viele Menschen. Geh im Januar.


3.) Nimm nicht die Parkplätze direkt am Eingang. Da kostet dich die Stunde 3 Euro und du wirst viele Stunden parken. Fahre 1,7 Kilometer in die Stadt und parke 24 Stunden für zwei Euro.


4.) Betrete die Eingangsschleuse um 9.00. Das ist der früheste Zeitpunkt. Warum? Weil es irgendwann dunkel wird, und du wirst nicht fertig sein.


5.) Rüste dich aus. Trage sehr bequemes, aber durchaus festes Schuhwerk. Nimm ausreichend Wasser mit und ein kräftiges Vesper. Es gibt eine Snackbar auf dem Gelände, aber die, die die Preise festsetzen, wissen wie verzweifelt die meisten Besucher*Innen gegen 13.30 sind.


6.) Sowohl Sonnen als auch Regenschutz sind ein Muss, denn die meisten Dächer fehlen seit 72 n.Chr.


7.) Wappne dich für ein paar sehr herzzerreißende Anblicke.

Pompeii hat mich völlig umgehauen. Noch nie fühlte ich mich so sehr in die Antike versetzt, hatte so sehr den Eindruck, dass das ganze Leben einer Stadt zu dieser Zeit vor mir ausgebreitet wurde. Und dann ist da die schier unfassbare Größe. Das sind nicht ein paar Ruinen, das ist eine große Stadt, einiges noch gar nicht ausgegraben. Zwischen 9.00 und 16.30 habe ich so etwa 75 % der Stadt abgedeckt, darin war eine kurze Mittagspause inbegriffen (und ein paar Recherche-Zeiten). Als ich im Attrium der ersten Villa stand dachte ich: Geil, ich stehe in einer echten Römer-Villa, das ist ja der Hammer! Als ich in der 10. stand wurde mir bewusst, wie viel hier erhalten und im engsten Sinne begreifbar ist.

Und dann ist da das Forum. Und die Therme, die große und die kleine. Das Theater – auch in groß und klein. Die Handwerkerläden und die drei dutzend Garküchen mit Straßenverkauf. Tempel. Diese unfassbare Insula – eine Mietskaserne – die sie gerade ausgraben. Die Arena. Und alles bemalt. Aus dem Leben vor 2000 Jahren gerissen.

Pompeii hat mich umgeworfen.

Nichts hat mich aber auf den Anblick der römischen Familie vorbereitet, die die pyroklastische Wolke von hinten auf der Flucht erwischte. Also es ist der Abdruck der Körper im Tuffstein, ihre Knochen sind in der grauen Form noch drin. Das Kleinkind neben der Mutter gestürzt, der Vater neben dem Sohn, den Arm noch abwehrend erhoben – das hat mir schon ziemlich die Kehle zugeschnürt. Eben weil es nicht aussieht wie 2000 Jahre her, sondern weil einem alles sehr nahe und plastisch und nachspürbar erscheint.

Pompeii ist ein sensationelles Erlebnis.

Meine berührendste Entdeckung hebe ich mir aber ganz für den Schluss auf. Sie ist im Haus des perversen Sex-Patriziers, der im Eingang den Priapus mit dem Riesenpimmel hängen hatte und hinten das Vögelzimmer mit den Pornobildchen, in dem er seine Sklavin laut Graffiti den Klienten verkauft hat. Typischer Erbtumsreicher, es sind noch immer die selben problematischen Charaktere, die daraus entstehen. Alle glotzen in der Villa auf die Pimmel, kaum einer bemerkt sie:

Das Sklavenmädchen, knapp über dem Boden, mit der Weinkanne und der Pfanne. Direkt auf der anderen Wandseite vom Priapus, den alle fotografieren. Vielleicht ist es auch ein Junge. gezeichnet in einem Stil, der ebenso gut von Uderzo oder Hergé hätte sein können. Wenige, kräftige Striche, aber direkt aus dem Leben gegriffen und an die Wand gebannt.

Sie wirkt so göttlich lebendig.

P.S.: Spoiler – ich habe überlebt.

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1 Comment

  1. Sehr, sehr schön geschrieben… so ähnlich ging es mir damals auch in Pompeij… Das war aber schon vor über 30 Jahren, da hat sich bestimmt ganz viel getan was den Fortschritt der Ausgrabungen angeht!

    Und Danke für die Erwähnung des Tarker Mills Werwolfs… da sind sie wieder, meine Jugend-Angst-Träume 😉

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