Schon in der Nacht wurde mir klar, dass ein Wetterbericht keine üble Sache ist. Der auf Gaspard trommelnde Regen und Windstöße, die den Bus wackeln lassen machen deutlich: Meine Idee vom Sonnenaufgang auf dem Ätna kann ich abschreiben. Als ich dann recht früh rauskrabbele zeigt sich die volle Kelle: Schneeregen, Nebel, Böen. Ich taste mich quasi im Schleichgang den Ätna herunter, gut, dass am Sonntag Morgen sonst keiner unterwegs ist.
Sozial-Episode 1: Die einzige U-Bahn Siziliens
Und die ist in Catania, ziemlich neu und nur eine Linie lang. Die nette Episode verdanke ich einmal mehr der kompletten Unzulänglichkeit von Google. Ich weiß nicht, was los ist, in Berlin lotst mich Maps quasi sekundengenau durch das komplexe ÖPNV-System der Großstadt. In Catania gibt es eine einzige U-Bahn, und Google sagt die Abfahrtszeiten komplett falsch vor. Als ich in die Station schlappe, neben der ein geschickter großer Parkplatz ist, finde ich nur zwei Putzkräfte vor. Die Signorinas sind sehr gut gelaunt und wirklich nett, wir scheitern aber in der Frage, wann denn nun die nächste U-Bahn ins Zentrum fährt, an meinen nicht vorhandenen Italienisch-Kenntnissen. Der hinzugezogene Stationsleiter kann zwar auch kein Englisch, dafür aber entdecken wir nun Google-Translator, mit dem wir es hinbekommen mir zu vermitteln, dass die erste U-Bahn um 8.30 fahren wird. Währenddessen trete ich immer wieder auf die frisch geputzten Kacheln, worauf mich die beiden Putzkräfte lachend hinweisen, bis ich mich zehn mal entschuldige und wir alle vier einen leeren U-Bahnsteig mit schallendem Gelächter füllen.
Catania ist sehr schön, was an diesem dunkelgrauen-hellgelben Barock liegt, in dem das Stadtzentrum erstrahlt. Für eine Stadt, die ständig zerstört wurde, ist sie wirklich hübsch. Ich komme rechtzeitig zum Stadtlauf an, der vor der Stauffer-Burg endet, wo in 48 Kategorien die schnellsten drei Menschen prämiert werden. In der Burg befindet sich das Stadtmuseum, eine ziemlich wilde Mischung von Frühgriechenland bis 19. Jahrhundert, aber mit ein paar wirklich makabren Gemälden. Insgesamt bringt mich das dann durch einen sehr angenehmen Vormittag.
Sozial-Episode 2: It’s possible in Catania.
Zurück am Parkplatz laufe ich in ein Problem. Es gibt zwei Parkautomaten zum Bezahlen des Tickets für die Schranke, einer befindet sich in einem mit Vorhängeschloss verschlossenem Warteraum, der zweite, sehr weit entfernte, ist ganz offensichtlich defekt und mit Blubberfolie abgeklebt. Aber ohne bezahltes Ticket komme ich nicht mehr vom Parkplatz. Zunächst treffe ich auf einen uniformierten Bediensteten, der mir sofort auf italienisch erklärt, dass er nur Busfahrer ist, als er aber mein Dilemma als Touri merkt, mir sehr nett den Weg zum zweiten Automaten weist – den eben defekten. Ich stehe gerade ratlos neben dem nicht funktionalen Gerät, als neben mir hupend ein Bus hält. Es ist meine neue Bekanntschaft. Ob ich jetzt hätte zahlen können? Vielleicht lag es an meiner verzweifelten Miene, jedenfalls shuttlet er mich umsonst die 500 Meter zu Gaspard zurück und zeigt mir die Notfallnummer der Parkplatzgesellschaft, die da hängt. Es könne aber sein, dass da niemand rangeht am Sonntag, und ob die Englisch könnten – viel Glück. Ich versuche mein Glück zunächst mit der Idee, dass die Schranke mich vielleicht mit unbezahlter Parkkarte herauslässt – tut sie nicht, sie fordert unerbittlich 1,50 €, damit sie aufgeht. In dieser Situation, in der ich an die Notfallnummer denke, hält auf der Einfahrt gegenüber ein Wagen, darin ein Italiener vielleicht Ende dreißig mit Fußballschal. Ich quatsche ihn an, ob er Englisch spräche. Tut er. Ob er wisse, wo ich hier einen Bezahlautomaten fände? Nach längerem hin und her, das ergibt, dass der einzig funktionierende Automat weggeschlossen ist, und der einzig zugängliche Automat im Eimer, meint er, dass das in Catania durchaus möglich wäre. Und dann tut er etwas wirklich wahnsinnig Nettes: Er wählt die Nummer für mich. Aber wahrscheinlich gehe heute am Sonntag keiner ran. It’s possible in Catania. Aber es geht einer ran. Das folgende Gespräch geht keine drei Minuten und dreht sich vor allem um die Problemlage und die Frage, auf welchem Parkplatz denn der aufgeschmissene Herr stehe. Dann legt mein Retter auf und sagt, dass der Notfalltyp mir gerade die Schranke öffne. Und tatsächlich wird der Parkplatz in dem Moment einfach freigegeben. Ich kann dem Fußballfan gar nicht so überschwänglich danken, wie ich will. Du wirst es nie lesen, aber Mann, du warst großartig.
Probleme können in Italien etwas Wunderschönes sein.
Sie entstehen viel schneller, als wir durchstrukturierten Deutschen gewohnt sind, sie werden aber auch viel kooperativer gelöst.
Ich lande letztendlich an diesem Nachmittag auf Thapsos, einer kleinen Halbinsel nördlich von Syrakus. Die ganze Ecke scheint komplett Eni-Oil zu gehören, das sind die Tankstellen mit dem schwarzen Hundevieh auf gelb. Hier ist ein großer Strandparkplatz und eine bronzezeitliche Nekropole. Eigentlich war die Halbinsel ein großer Handelsplatz der sehr frühen Mittelmeer-Zivilisationen, aber vor allem sind heute die Felsengräber, direkt in die raue Küste gehauen, heute noch sichtbar. Mindestens genau so spannend allerdings finde ich die Luftabwehr-Batterie aus dem Zweiten Weltkrieg, über die ich mehr zufällig direkt neben den bronzezeitlichen Relikten stoße. Eine ziemlich umfangreiche Abwehrstellung, ich zähle mindestens 8 Stände für große Geschütze.
Die Baracken und Gebäude sind ziemlich verfallen, wohl auch wegen Angriffen im Vorfeld der Invasion Siziliens 1943, dafür die unterirdischen Geschützkasematten sehr gut erhalten. Ein wenig vermüllt sind sie (natürlich), und die Hundeknochen und Schrotpatronenhülsen da unten stehen hoffentlich in keinem Zusammenhang miteinander. Oder erschießt in den Löchern jemand regelmäßig Streuner?
Dann soll ihm seine Flinte in die Fresse explodieren.
Mein Stellplatz hat einen tollen Blick über die Bucht und die blinkenden Öl-Raffinerien und Betankungsanlagen. Mit all den Lichtern bei Nacht ist das aus der Ferne fast hübsch.










