oder:

Niederlagen

Ich dachte, ich versuche es mal mit Clickbait-Headern, um die Aufrufe pro Eintrag ins Zweistellige zu katapultieren. Aber tatsächlich, so meine Schlussfolgerung, habe ich gestern Abend einen Eindruck von den sizilianischen Substrukturen bekommen, die man sonst so als Touri nicht spürt.

Längere Story.

Gestern in Manzara hatte ich mir eine Ostaria ausgeguckt, die einigermaßen preislich angemessen und nett aussah. Das Ding hatte am Rand der Stadtmauer einen großen Parkplatz vor der Tür, so dass ich faulerweise einfach das Fahrrad aufgeschnallt gelassen habe und die drei Kilometer mit Gaspard hingedüst bin. Der Parkplatz war eigentlich auch einfach nur eine große ungepflasterte freie Fläche ohne jede Beschilderung, aber ziemlich groß.

Auftritt des kleinen Ganoven.

Beim Aussteigen tritt aus der Dunkelheit eine kleine Gestalt mit Anorakkapuze, die sich in sehr, sehr, sehr schlechtem Englisch als „Parking Guard“ vorstellt. Er ist vielleicht 16 und möchte ein paar Euro. Ganz klar ist: Das ist ein Scam, der Typ ist so sehr Parking Guard wie Gaspard eine UH1-Bell ist.

Auftritt des ahnungslosen Deutschlehrers.

Hier wäre das beste gewesen, dem Typen drei Euro in die Hand zu drücken, dann hätte ich aber auch nicht viel mehr erlebt. Ich weiß nicht was mich geritten hat. Möglicherweise meine durch Wetter und Schnupfen auf Krawall gebürstete Laune. Ich glaube vor allem war es meine Empörung als Theaterlehrer und Amateurschauspieler, wie jemand seine Rolle so schlecht verkörpern kann. Ich meine, der Jugendliche hatte einen erfolgreichen Betrugsversuch einfach nicht verdient, alles an ihm schrie: „Ich bin gar nicht echt!“ Eventuell springen ein paar Lehrer-Gene in mir an weil er mich an einen typischen Schurken aus der letzten Bank erinnert. Jedenfalls fange ich über Google-Translator eine Diskussion mit ihm an, in der ich ihm freundlich erkläre, dass er ohne Ticket, Ausweis oder einen Chef, der mir seine Echtheit bestätigt, die Sache vergessen kann. Er ließt italienisch sehr stockend von meinem Übersetzer, er kann nicht gut lesen. Ich beende die Diskussion mit dem Hinweis, dass ich in jenem Laden da drüben gleich esse und sein Chef könne mich jederzeit da drin ansprechen, dann würde ich die Gebühr schon springen lassen.

Auftritt des Restaurantbesitzers.

Auf dem kurzen Weg zum Eingang überdenke ich meine Handlungen und entwickele Zweifel, ob es gut war den Jungspund anzupissen, vor allem weil ich Gaspard vom Fenster aus nicht sehen kann und ich sehr gerne mit allen Seitenspiegeln zurückfahren würde. Also spreche ich bei der Bestellung den Chef des Hauses an, wieder mit meinem Übersetzer, denn auch er spricht nur ein kleines bisschen Englisch. Ob der Parkplatz sicher sei? Ich hätte da gerade Kontakt mit einem local kid gehabt, usw. Er antwortet mir ein wenig peinlich berührt wirkend, dass ich dem kleinen Ganoven ruhig 2 oder 3 Euro hätte geben können. Auf meine Ankündigung, dass ich dann einfach zwischen Bestellung und Servieren nochmal raus flitze und einige Münzen abdrücke, meint er no, no, er würde das klären, nur kurz warten.
Ich warte mit der Jacke an der Tür 10 Minuten, während der Chef in der Küche 3 Telefonate führt. So langsam dämmert mir, dass ich ein Steinchen in einen sehr dunklen Raum geworfen habe, aus dem nun für mich sehr schwer einzuschätzende Geräusche kommen.

Auftritt des Hilfskellners.

Er ist ebenfalls etwa 16, etwa 2 Meter hoch und wird hinausgeschickt, um „die Sache zu klären.“ Ich weiß nicht mehr, wie ich mitgeraten bin, vielleicht habe ich es mir einfach nicht nehmen lassen, das Ganze weiter zu verfolgen, inzwischen bekam ich auch Mitleid mit dem kleinen Ganoven (Lehrer-Gen). Jedenfalls schlappe ich mit dem Jungen zurück zum Parkfeld und stoße mit der Frage, was hier gerade vor sich geht, auf die aus Film und Fernsehen bekannte Mauer des Schweigens.

Auftritt der beiden älteren Herren im Kleinwagen.

Auf dem Platz ist der kleine Ganove nirgendwo zu sehen, dafür steht nun ein alter Kleinwagen mit brennenden Scheinwerfern herum, aus dem zwei Männer um die 50 steigen. Einer trägt in der Hand eine Warnweste und eine Verkehrskelle. Sie beginnen eine rege Diskussion mit dem Hilfskellner, der hilflos wirkt, ohne mich auch nur eine Sekunde zu beachten. Ich verstehe mit meinem rudimentären Italienisch, dass er jetzt sofort den Chef, also den Restaurantbesitzer, anrufen soll, was der Knabe auch gehorsam tut. Ich gehe zum Auto, um ein bisschen Kleingeld herauszufischen, in der Hoffnung, damit vielleicht die Sache zu befrieden. Der ahnungslose Deutschlehrer kann es nicht lassen weiter durch den dunklen Raum zu stolpern. „Can I do anything to solve the problem?“ sage ich. Blicke schießen zu mir.

Auftritt der jungen Frau.

Plötzlich ist da eine gepflegt wirkende Italienerin um die 30, die das Heft an sich reißt und alle deutlich, aber bestimmt wegschickt. Die älteren Typen sind plötzlich sehr schnell in ihrem Peugeot. Ich frage ein letztes Mal, ob jemand Englisch spricht, und ja die Dame spricht ein äußerst gepflegtes Englisch. Natürlich müsse ich hier nichts zahlen und es gäbe absolut kein Problem. Außerdem sei sie Polizistin, und das hier sei eine illegale Aktion. Ich müsse mir absolut keine Sorgen machen. OK. Mille Grazie, Signora.

Nachspiel.

Ich esse eine wirklich unendlich leckere Pizza mit Kartoffelstückchen und super-süßen roten Zwiebeln. Beim Zahlen begleitet mich der Chef extra vor die Tür schüttelt mir bedeutungsvoll die Hand und zeigt mir drei Parkplätze, die „much better“ gewesen wären. Auf meine Antwort, dass ich immer noch keine Ahnung habe, was gerade passiert ist, nicht er lächelnd und schlägt die Augen nieder.

Ich glaube, ich habe mich mit der Mafia getroffen.

Na ja, mit der untersten Ebene. Im Moment sitze ich in einem kleinen Apartement in Trapani mit Hafenblick. So, die Bombe ist geplatzt. Ich habe eine Niederlage erlitten, und lasse Gaspard eine Nacht alleine auf dem Parkplatz hier. Es tat mir etwas weh und der Nissan blickte mir traurig und verständnislos hinterher. Aber heute morgen war ich immer noch dick verschnupft und wollte mich in ein normales Bett legen, eine Dusche und ein Klo mein eigen nennen und stationäres W-Lan nutzen. Außerdem ist das kleine, aber sehr gut eingerichtete Apartement ungefähr so teuer wie mein gestriger Restaurantbesuch. Ich habe einen langen Mittagsschlaf gehalten und es geht mir mittlerweile viel besser. Auch meiner Laune. Meine Fähre von der Insel geht am Samstag Abend, Zeit genug, um hier noch Palermo, Corleone und das eine oder andere zu sehen.

Trapani

Das Wetter bleibt allerdings kühl und bewölkt.

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