Ich erwache beim ersten Vogelzwitschern weil es kühl an den Schultern in den Schlafsack zieht. Es ist definitv kalt im Bus. Einmal herumgedreht und das Frühlicht ist da. Jetzt sehe ich endlich meine Umgebung und über mir ragen riesige, zerklüftete Felswände. Der Fluss schäumt. Ein gigantischer Campingplatz liegt unter mir im Winterschlaf.
Die Straße ist bei Tag noch beängstigender als bei Nacht, weil man jetzt gut sieht, wie kaputt sie wirklich ist. Zur Grenze sind es noch drei Kilometer, die man mit maximal 40 tuckern kann, weil man Schlagloch-Slalom fahren sollte. Ich hoffe, dass auf der montenegrinischen Seite die Straße besser wird. Der Bosnisch-Herzegowinische Grenzer macht das übliche, er sitzt in einer Art Bretterbude neben einem Fahnenmast. Sein Zwilling aus Montenegro – sie sehen wirklich komplett gleich aus – möchte zusätzlich noch die Zulassung sehen. Und dazwischen ist … die Grenzbrücke über die Schlucht. Boy, oh boy, ein Bauwerk wie aus einem Abenteuerfilm der 60er-Jahre. Als hätten die Partisanen gestern noch Sprengstoff an die Stahlträger geklebt, aber nicht mehr gezündet. Ich halte auf der Brücke an und muss das Ganze knipsen.
Die Straße auf der anderen Seite ist viiieeeel besser. Gefördert mit EU-Geldern, und wieder muss ich sagen: Was hat die EU da nicht schon wieder Gutes für mich geleistet. Ich kann relativ normal fahren. Abgesehen von der völlig abgefahrenen Schluchtenlandschaft, diesmal nicht Winnetou, sondern reinste Tolkien-Illustration. Felstürme, Brücken, immer wieder Tunnel, darunter ein eisblauer Fluss. Die Sonne kommt heraus. Ich kriege den Mund nicht mehr zu über diese Landschaft, die sich allmählich in ein breites Flusstal öffnet. Der Schnee kriegt mich auf einer Hochebene – sieht sehr nach Schweiz aus – doch noch, aber schönerweise ist es ein sehr trockener, pulvriger Schnee, den Gaspard ohne Probleme bewältigt. Ab und zu rütteln Windböen am Bus.
Bänger.
Dann bin ich auch schon in Podgorica, der Hauptstadt. Man muss sagen: sie ist ziemlich reizlos. Dafür kann Podgorica wenig, die Allierten haben im Zweiten Weltkrieg die Stadt quasi komplett zerbombt, weil sie ein deutscher Knotenpunkt auf dem Balkan war. Tito benannte die Stadt nach dem Krieg kurzerhand in „Titograd“ um, machte sie zur Chefsache, und ließ sozialistische Blöcke en gros hochziehen. Man muss sagen, die Podgoricer geben sich Mühe. Alle Blocks sind hell, sauber und wirken frisch gestrichen. Trotzdem sind die Sehenswürdigkeiten merkwürdig. Top Dog ist die „Millenium Bridge“ über das Flusstal, zugegebenermaßen eine stylische Hängebrücke. Die orthodoxe Kathedrale ist weird, sie liegt quasi in einer riesigen, ungestalteten Brachfläche im Westen der Stadt. Innendrin sehr prachtvoll. Der berühmte Uhrenturm aus osmanischer Zeit ist einfach nur ein alter, viereckier Turm, der in der Stadtmauer von Ravenburg oder Marbach nicht groß beachtet werden würde. Das Preisniveau hier ist allerdings sensationel niedrig. Man zahlt mit Euro.
Was absolut bemerkenswert ist, ist der Autoverkehr. Sizilianisches Chaos, aber weniger freundlich und lustig. Zu den Stoßzeiten steht alles kreuz und quer. Der ÖPNV ist für eine Stadt dieser Dimension völlig unterentwickelt, die eingesetzten Buse haben diesen kurzen Radstand – quasi halbe Größe. Das erklärt, warum alle mit dem Auto herumfahren.
Also esse ich eine seltsame Pizza – keine Tomaten, dafür aber ein Topping aus Knoblauch- und Sesamsoße – die mir noch immer schwer im Magen liegt. Und ich finde heraus, was hierzulande ein „Kaffee Deutsch“ ist: Ein Espresso, verdünnt mit Wasser und Milch. Ich finde das gar nicht so schlecht benannt.
Gegen 16.00 mache ich mich auf den Weg zur Küste, um die Nacht mit Blick aufs Meer zu verbringen. Die Landschaft bietet wieder einen Bänger nach dem anderen. Schließlich habe ich ihn: Den Klippenplatz mit Blick auf den Sonnenuntergang. Der Wind hat etwas nachgelassen, kalt wird es wohl trotzdem.





Egal. So kanns gerne weitergehen.



