Ich schrecke aus dem Schlaf hoch, weil jemand mit der Faust gegen meine Tür hämmert. „Carabineri! Open up!“ Schlaftrunken gehe ich davon aus, dass man jetzt den ungeliebten Camper verjagen wird, brülle „uno momento“ und nudele mich aus dem Schlafsack, taste nach der Brille (natürlich die mit dem Klebeband, damit ich möglichst kaputt aussehe) und knipse die Lampe an.
Als ich die Tür aufziehe steht da kein Carabineri.
Auch nicht zwei. Nein, es stehen da 20 Polizisten, alle in Combat-Suites und Sturmmaske und grinsen mich an. Der gerade noch leere Parkplatz ist nun voller Jeeps mit Blaulicht, irgendwo steht auch schemenhaft etwas mit 6 Rädern.“I was already asleep,“ nuschele ich entschuldigend.
Hier findet heute Nacht eine Übung statt. Man bittet mich freundlich, mich zu verpissen. Die Polizisten – sie wirken alle unter dreißig – sind komplett nett, als sie merken, dass ich mich ziemlich erschrocken habe, sagen sie: „Take your time“ und: „Don’t forget your bike.“
Jedenfalls bin ich 5 Minuten später on the road, im Schlafi hinterm Steuer und irre im nächtlichen Friaul umher, auf der Suche nach einem neuen Stellplatz. Am Ende lande ich auf der Zufahrt einer verlassenen Fabrik im Wald 15 Kilometer weiter.
Schlaf.
Mit dem Frühlicht werde ich wach und durchstöbere erst mal die ziemlich gruslige Fabrik. War wohl eine Art Maschinenfabrikation. Beim Frühstück stelle ich fest, dass ich nicht weit von einer „Galleria“ aus dem Ersten Weltkrieg sitze und noch vor acht streife ich durch den Bergwald und blicke über das Tal.
Es ist ein super Ausflug. Die italienische Ersatzlinie ist grandios erhalten, aufwendig restauriert und begehbar. Und die Galleria entpuppt sich als kostenloses Mini-Museum. Schon als Bauwerk beeindruckend: Die Italiener haben eine verdeckte Feuerstellung in den Berg getrieben für sechs schwere Geschütze. Kasematten, riesige Gewölbe, Mannschaftsräume. Das ganze ist dazuhin noch didaktisiert und mit eher künstlerisch angehauchten Installationen versehen, die dennoch Zeugnisse der hier stationierten Soldaten verarbeiten. Es ist grandios, um da einfach zur frühen Morgenstunde hineinzustolpern.







Die Stellungen sind allerdings relativ fundarm, ich kann kaum ein rostiges Splitterchen in der Gegend ausmachen. Dafür kommt mir beim Abfahren eine Schulklasse entgegen. Kollege mit Barett und weißem Vollbart voran, dann die übliche Meschpoche um die 14 und dahinter – vier Reenactor in Österreichischen und Italienischen Uniformen, das Gewehr über der Schulter.
Sieht nach nem geilen Ausflug aus.
Es ist noch nicht mal 10.00, als ich in Gorizia/Gorica/Görz einfahre. Ich besuche das Grenzstädtchen, weil es gemeinsam mit Chemnitz und seinem slowenischen Stadtteil Nova Gorica Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist und wenn man quasi nebenan ist, kann man sich das ja anschauen.
Gorizia ist ein verschlafenes, fast totes Kleinstädtchen mit hübschen alten Häusern und ziemlich leeren Straßen. Was hatte ich auch von einer Europäischen Kulturhauptstadt erwartet? Performance-Artists, die in fantastischen Kostümen auf der Straße tanzen? Abgefahrene Kunst im öffentlichen Raum hinter jeder Straßenbiegung? Hinweisschilder zu dutzenden Installationen?
Irgendwie schon.
Nur am örtlichen Museum ist was los, eine Andy-Warhol-Ausstellung zieht noch mehr Schulklassen an. Marylin lacht in knalligen Farben von der Fassade. Mainstream. Ich finde noch einen ganz netten Markt und einen belebten Platz, mache mich aber gegen Eins auf in den slowenischen Teil, um den darüber sitzenden Hausberg zu besteigen. Der hat im Krieg drölf dutzend mal den Besitzer gewechselt, weil jeder auf der Spitze hocken wollte. Es geht ziemlich steil rauf, erst mit Gaspard, dann zu Fuß.
Fast wäre ich dem unscheinbaren Schild „Spitalo“ in ein Seitental nicht gefolgt aber nur einhundert Meter, dann bin ich ganz zu Hause. Na ja, doch nicht, es ist anders als Verdun. Dutzende Stolleneingänge durchbrechen die Felswand. Die Italiener haben die Ecke durchlöchert wie einen Schweizer Käse, weil das enge Tal relativ beschussicher war. Gallerien voller Zeug zwischen den Steinen. Artefakte überall, Gasmaskenfilter, Flaschenscherben, Patronen, ein paar Batterien, Ledersohlen … das übliche Sammelsurium, das zurückgelassen wurde. Nur diesmal Italienisch.





Ich bin happy.
Gegen Abend fahre ich noch eine Stunde raus ins Soca-/Isonzo-Tal. Steile Schluchten, tiefe Klüfte, irrsinnig blaues Wasser im FLuss. Irre, aber auch eng und einsame Dörfer. Wieder ein Parkplatz. Mann, heute ist ganz schön viel passiert.
Die heutige Nacht dann bitte mal ohne Polizei.
