Es hat schon etwas, seinen Morgenkaffee auf einer Parkbank am Tegeler See zu schlürfen und den Enten beim Aufwachen zuzusehen. Aber kurz danach bin ich weg. Ich hatte noch stark überlegt, einen zweiten Berlin-Tag einzulegen, aber irgendwie entwickelte sich dann doch der Drang, neues Gelände zu betreten. Also ab nach Osten. Von Berlin zur polnischen Grenze ist es nur ein Katzensprung.
Ich weiß nix über Polen.
Erste Überraschung: Polen ist nicht so ganz EU. Peinlich, aber wahr: Mir war absolut nicht bewusst, dass man in Polen noch in Zloty bezahlt und nicht in Euro. Das ist ärgerlich. Man muss also wieder lange online-Berichte durchlesen, wie man am besten zu Landeswährung kommt, und immer läuft es auf das eine raus: Das beste ist, du tauschst in einer Wechselstube Papiergeld gegen Papiergeld und bezahlst nur in bar. Also so wie 1879 auch. Bei jeder anderen Zahlungs-Art haut dich irgendein Gauner in einem teuren Vorstandsanzug über das Ohr und zockt wirklich prozentual irrsinnige Gebüren ab. Ich habe nicht so viel Euro dabei, und das, was mir der polnische Bankautomat und meine Deutsche Bank für eine Abhebung in Zloty abverlangen, ist wirklich außerhalb jedes kaufmännischen Anstands. Aber außerhalb der EU ist halt auch immer irgendwie WildWest.
So schlecht kenne ich also unsere direkten Nachbarn.
On the bright side: Die polnische Autobahn ist fantastisch. Bolzengerade, kaum befahren, dank Maut-Gebühr. Hier bekomme ich aber eine Leistung für mein Geld. Ruckzuck bin ich in Poznan, deutsch Posen.
Posen ist schön. Die Altstadt erinnert mich ein wenig an Prag. Mit dem Fahrrad ist man flott und auf guten Radwegen unterwegs, das Wetter ist blendend, die Cafes sind voll.
Posen und Deutschland haben aber auch eine ganz schön finstere Geschichte. Hier sitzt im Krieg die deutsche Gauleitung des „Wartegaus“ und tut dem polnischen Teil der Bevölkerung Schreckliches an. Heinrich Himmler hält hier 1943 seine „Posener Rede“, in der er einerseits die Ausrottungspolitik offen anspricht, zweitens rechtfertigt und drittens die Täter zu Opfern macht. Es ist ein absolut widerliches Machwerk in deutschen Worten, so wie eigentlich auch noch heute bundesweit rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Parteien aus meiner geliebten Sprache ein widerliches Machwerk fabrizieren. 1945 brauchte es dann viel um eine reichsweit rechtsextremistische Partei zum Schweigen zu bringen. In Posen ganz besonders: Kurz vor knapp erklärt Hitler die Stadt zur „Festung“ und eingekesselte deutsche Einheiten verteidigen sie fast einen Monat lang. Danach steht kein Stein mehr auf dem anderen.
Hoffentlich schaffen wir es diesmal zu geringeren Kosten, die Nazis wieder loszuwerden.
Der Wiederaufbau der Stadt ist im Kommunismus definitiv gelungen. Die Altstadt wirkt historisch und harmonisch und ist ein bekannter Touristenmagnet. Ansonsten gibt es genau die Läden und Restaurants, die man erwartet. Gelungen ist auch der Umbau der alten preußischen Zitadelle, in der dann die Wehrmacht im Februar 1945 ihr letztes Gefecht um Posen liefert: Sie ist der größte Park der Stadt geworden. Überhaupt macht Posen einen grünen und parkreichen Eindruck.
Am Ende will ich aber für die Nacht hinaus in die Einsamkeit und tuckere über schlechte Straßen aufs Land. Auf dem Weg fällt mir dann die konsequente Beflaggung der Dörfer auf. Alles in rot-weiß … was ist da los.
Ich kenne unsere direkten Nachbarn sehr schlecht.
Polen hat nicht einen Mai-Feiertag, sondern Mai-FeiertagE: Am 01. den Tag der Arbeit (kommunistisch), am 02. den Tag der Nationalflagge (nationalistisch), am 03. den Tag der Verfassung (18. Jhdt. bzw. Solidarnosc). Drei Maifeiertage! Wie geil. Bei uns sägt der Wirtschaftsflügel bereits am 01. Mai herum, für den Aufschwung und so.
Am ersten See, der mir als Platz empfohlen wird, hat sich ein spontaner Campingplatz von feiernden Polen gebildet. Es wirkt nett, aber die erhoffte Einsamkeit finde ich hier sicher nicht; Ich schlage mich tiefer auf Forstwegen in den Wald und stehe nun in einer Schneiße im Nirgendwo, auf Sandboden, umgeben von roten Kiefern. Oder sinds Pinien?
Egal, jedenfalls allein.
Pinien sind Kiefern! 😉 Aber egal, Hauptsache du bist wieder raus und drin und unterwegs!
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