Ich erreiche jetzt das letzte Drittel meines Auszeitjahres. Das heißt, dass noch viele schöne Wochen vor mir liegen, aber nicht so viele, wie ich bis jetzt verbracht habe. Zeit für mein erstes Resumé.
Es geht wieder alles schneller als man denkt. Ich habe mich in weniger besondere Aktivitäten gestürzt als im ersten Sabbatical und mich vor allem dem Reisen gewidmet. Das ist gut so. Von meinem Lieblingskontinent Europa habe ich ne ganze Ecke jetzt bereist, vor allem Ecken, in denen ich sonst noch nie war. Insgesamt belohnend für mich. Aber man könnte sich an dieses freie Leben zu sehr gewöhnen. Mir wird die Rückkehr in den alten Trott sicher nicht leicht fallen. Jetzt ist erst mal der Nordosten des Kontinents dran, meine Zukunft ist dann das Problem von Future-Achim.
Ich habe mich gestern Abend für Warschau statt Danzig entschieden.
Auf der Fahrt dahin bleibt Polen ziemlich gleich. Flach, Felder, einige Wäldchen. Durchaus idyllisch, aber eben nicht vielseitig. Die Autobahn ist noch immer bolzengerade, dafür sind heute an den Mautstellen alle Schranken hochgeklappt. Liegt es an einem technischen Defekt oder am Nationalfeiertag? Wir brausen durch.
Warschau selber ist … groß. Und eigentlich eine ganz würdige Hauptstadt. Viele Ecken erinnern mich an Berlin. Dann gibt es die Viertel im stalinistischen Zuckerbäckerstil einschließlich des großartigen Kulturzentrums-Wolkenkratzer. Eine Altstadt gibt es auch, wie in Posen nach dem Krieg ziemlich gelungen restauriert.
Am 03. Mai ist hier die Hölle los. Aber der Gegensatz zu Berlin ist krass. Wo an der Spree kräftig Party gemacht wird, geht es an der Weichsel gediegen zu, man flaniert in guten Kleidchen, nirgendwo spielt laute Musik, man sitzt gepflegt im Café. Viele Frauen haben rot-weiße Blumenkränze und sehen ein bisschen damit aus wie aus dem Folklore-Museum. Vor dem Präsidentenplalast reihen sich schwarze Limousinen mit kleinen Nationalflaggen aus aller Welt auf dem Kühler. Sieht aus wie ein Diplomatenempfang. Ich suche in der Reihe die Karre, die ich mitbezahlt habe, finde aber nur die österreichische Karosse. Vielleicht hat der deutsche Botschafter heute etwas anderes vor oder er fuhr mit dem Fahrrad hin.
Warum hat eigentlich Deutschland keinen Nationalfeiertag im Mai? Wir hatten mal einen am 17. Juni, um die DDR zu ärgern. Aber dann hat ihn irgendjemand in den trüben Oktober verlegt. Wir sind einfach das dümmste Volk ever. Ach so, das war Helmuth Kohl und Konsorten und die hassen bekanntlich Feiertage. Mal sehen ob Merz bald Nationalfeiertag am 06. Januar beantragt.
Ich verbringe den Tag mit dem Abklappern der wichtigsten Stationen. Ehrenmal der jüdischen Gefallenen des Warschauer Aufstandes; Kulturpalast, Altstadt. Alles ist kilometerlang voller Prachtbauten, Theater, Repräsentationsgebäude. Ein Museum macht mich heute nicht an, obwohl mir einige schwerstens ans Herz gelegt werden. Dafür esse ich einen fantastischen Kürbis-Humus-Toast in einer architektonisch atemberaubenden Bar neben dem Kultur-Stalin-Wolkenkratzer.
Übrigens haben da drin mal die Roling Stones eines der seltsamsten Konzerte ihrer Karriere gespielt. Die Karten waren fast komplett an verdiente Mitglieder der kommunistischen Partei verteilt worden, so dass sich die Stones anstatt mit ausflippenden Teenies mit einem Publikum aus älteren Amtsträgern in sozialistischen Anzügen begnügen mussten.
Nachher mal kucken, ob es davon noch Filmaufnahmen gibt.
Am Ende bin ich ziemlich erschöpft und mache Nickerchen in einem Park. Gaspard steht neben einem anderen Park. Dieser Blog könnte auch sehr gut „Weltkrieg und Parks“ genannt werden. Sind immer wieder Leitlinen meiner Reisen.
Gegen Spätnachmittag mache ich mich aber auf, obwohl Wahrschau sicherlich Stoff für viele Tage bietet. Aber ich habe keine Lust neben dem Park zu übernachten, eventuell wird es da gegen Abend für polnische Feierverhältnisse doch noch laut und spät.
Jetzt stehe ich in der Pampa tief im Wald. Alles um mich rum ist voller Stellungen, Schützenlöcher und Verteidigungsgräben. Sieht eher nach Zweitem aus. Zufällig genau drauf geparkt.
Weltkrieg und Parks.


