Es ist das Licht hier. Ich bin mir jetzt sicher. Ich kann es nur mit „leuchtend“ beschreiben, es ist hell, heller als bei uns, aber nicht gleißend oder grell, sondern weich und fröhlich. Ganz Helsinki wirkt heute, wie mit dem himmelblauen Pinsel frisch gestrichen.
Als ich erwache scheint die Sonne in mein kleines Hostel-Zimmer. 4:30 Uhr. Schönerweise gelingt es mir nochmal einzuschlafen. Morgens darf man die Hostel-Sauna umsonst nutzen, also sitze ich um acht Uhr in der Holzbutze, wo ein freundlicher Este das Aufgießen auf die heißen Steine übernimmt und wir über das Putler-Plakat in Narva philosophieren. Spannende Geschichte. Auf der einen Seite des Flusses lassen die Russen ihr Tag-des-siegreichen-Vaterlandes-Konzert nach Estland schallen, auf der anderen Seite hissen Esten ein sehr eindeutiges Banner Richtung Russland.
Kalter Krieg reloaded.
In der Saune ist es jedenfalls heiß, ich schwitze und sitze kurz darauf schon wieder auf Pegasus, ausgechecked, die sieben Sachen im Rucksack, Kurs Stadthafen von Helsinki um den Wasserbus nach Suomenlinna zu nehmen, der „Finnenburg.“ Vielleicht sind es auch nur vier ziemlich große, mit Brücken verbundene Schären, wer weiß, jedenfalls lagen sie schon immer strategisch günstig in der Bucht von Helsinki.
Erst die Schweden, dann die Zaren, dann die Finnen: Sie alle klatschen Suolinga mit Festungsbauten und Batterien zu, um die Ostsee vor der Stadt zu kontrollieren. Die Insel ist heute übersäht mit Wällen, Kasematten und Kasernen aus der Zeit zwischen 1750 und 1940. Formidables Freilichtmuseumsmaterial.
Suomenlinna ist aber auch ein Naturparadies: Es gibt einige extrem seltene Pflanzen, die nur dort noch gut gedeihen, überall hüpfen Gänse umher und beäugen misstrauisch die Passanten, Hasen rennen über die alten Erdwälle, Wasservögel aller Art produzieren Seegeräuschambiente und natürlich gibt es Möwen, die neidisch auf die Snacks der Touristen starren, immer bereit für einen schnellen Überfall, falls sich die Gelegenheit ergibt.
Suomenlinna ist aber auch eine eigene kleine Gemeinde: 3000 Einwohner zählt die alte Festung, dazu gehören noch immer ein paar hundert Marinesoldaten in der Militärbasis, aber in die alten Festungsgebäude und in neu gebaute zivile Holzhäuschen sind Leute eingezogen, die ganzjährig auf der Insel leben. Helsinki Zentrum ist ja nur 20 Minuten Fähre entfernt, man ist da schneller als aus manchem Außenbezirk der Hauptstadt.
Suolinna ist vor allem ein Tourismusmagnet, das ist der Nachteil wenn man da lebt. Ich möchte gar nicht wissen, wie es im Hochsommer dort aussieht. Ich bin früh dran und habe die ersten Stunden noch relativ einsam die Insel für mich, aber am Nachmittag wimmelt es ziemlich. Auch viele finnische Familien fahren raus, um auf den alten Wällen Picknick zu machen oder um Drachen steigen zu lassen. Das Wetter ist bombastisch. Kein Wölkchen am Himmel. Wir haben nun zweistellige Temperaturen erreicht, der Sommer naht.
Es ist das Licht, Johnny, das Licht.
Natürlich lande ich im Militärmuseum. Die Hauptausstellung befasst sich im Schwerpunkt mit dem finnischen Bürgerkrieg nach 1918 und dem Winter- und Folgekrieg, der mit der sehr komplizierten Geschichte Finnlands zwischen Deutschen und Russen zu tun hat. Ich merke, wie wenig ich im Detail über diese Konflikte weiß, die aber für den finnischen Gründungsmythos enorm wichtig sind. Ich kann also Wissenslücken schließen, es ist aber schon viel Text zwischen dem alten Kriegsgerät. Der Umgang mit dem Bündnis mit Nazi-Deutschland ist ein wenig … unkritisch. Das wird sehr schnell als „Zweckbündnis“ abgetan und auch die Rolle finnischer Soldaten in SS und anderen Einheiten ist eher kein Thema hier.
Spannend ist wieder die Ausstellung zur Funktion finnischer Künstler als Kriegspropagandamaler. Und am Ende bekommt man auch Zugang zum letzten überlebenden finnischen U-Boot aus dem Jahr 1936. Es ist erstaunlich zum Anfassen, man darf an Rädern drehen und Kisten und Kästen aufmachen. Bei uns wäre das wahrscheinlich alles unter Plexiglas.
Kaleun, was macht der Diesel.
Gegen 14:30 muss ich mich sputen und die letzten Wälle mit alten zaristischen Marinegeschützen sausen lassen, denn auf mich wartet ein längerer Rückweg zum Fährhafen und ein Check-In. Das geht aber heute viel schneller als auf der Hinfahrt. Und es macht ziemlich Spaß, mit einem Radel durch das riesige Parkdeck der Fähre zu rollen.
Damit ist der nördlichste Punkt meiner Reise absolviert. Ab jetzt geht es zurück, und wenn der Rückweg halb so geil wird, wie der Trip bisher war, wird das die Reise meines Lebens.




