Sorry, ich musste den alten Witz reißen, wenn ich schon einmal (ungeplant und überraschend) an der Memel parke. Er stimmt auch nicht, ich habe keine Maß hier sondern nur eine Dose 0,5 alkoholfrei. Aber die Laune ist ohnehin mies genug.

Es regnet.

Es war klar, dass mein Glück nach einer Woche brilliantem Wetter nicht ewig halten konnte. Aber ich bin immer wieder selbst ein wenig überrascht, wie sehr mich das Phänomen Regen auf Reisen runterzieht, ja geradezu wütend macht. Vielleicht weil Regen das Wetter ist, das nach Schneesturm den Aufenthalt im Freien am meisten verunleidet. Und mein „Innen“ ist gerade sehr eingeschränkt. Ich weiß auch, dass die Natur dringend Wasser gerade benötigt. Aber ich freue mich, dass es morgen dann wieder trockener werden soll.

Aber der Reihe nach.

Morgens war Lettland noch bewölkt, aber trocken. Über die Grenze war ich nahezu unmerklich. Nur ein schwarz-weiß gestrichener Pfahl erinnert den europäischen Reisenden daran, dass ab jetzt Litauen ist. Was erst mal keinen großen Unterschied macht: Riesige Wälder, Hügel, Wiesen, Störche noch und nöcher. Allerdings ist spürbar, dass ich weiter südlich angelangt bin, Laubbäume werden häufiger und der die Natur steckt wesentlich tiefer im Frühling als um Tallinn.

Ziel: Vilnius. Die Hauptstadt, die ich bis jetzt außer acht gelassen habe. Fazit nach einem Tag:

Schon ok, aber kein Burner.

Fahrrad ist heute nicht. Eine kleine Testrunde ergibt, dass mein linkes Knie sein Veto einlegt. Also nehme ich den Bus ins Zentrum (Vom Park aus, wo sonst) und das sollte sich angesichts des Wetterumschwungs als Glücksfall erweisen. Er fährt halbstündig. Auch das ist bereits eine wichtige Information zur litauischen Hauptstadt.

Meine Mom schreibt mir zu meinen Fotos, dass Vilnius „südländisch“ aussieht. Dass mag man so sehen, denn in Vilnius wütet das Barock und das mag an italienische Städte durchaus erinnern. Die Innenstadt ist definitiv schön. Aber ich habe nun wirklich viele schöne Innenstädte gesehen.

Gegen eins lande ich im Museum des Herzogenpalastes von Litauen, und das sind gleich vier Museen in einem. Ich entscheide mich nur für eine Tour, und das war gut so, denn alle vier Ausstellungstrakte hätte ich an einem Nachmittag gar nicht mehr gepackt. Ich habe Glück: Die Ausstellung zu rekonstruierten Räumen des Palastes aus Gotik, Renaissance und Barock ist brandneu, so brandneu, dass noch nicht mal alle Elemente fertig sind. Die noch unbemalten Holzdecken sind jedenfalls spektakulär, man bekommt ein Gefühl dafür, wie so ein Raum mal kurz nach der Fertigstellung ausgesehen haben könnte. Auch der Rest ist sehr gut, wenn auch jeder Raum sehr detailliert erklärt, wie die Restauratoren zu jenen Bodenfliesen oder diesen Kronleuchtern kamen. Darauf muss man Bock haben. Aber es beschreibt endlich einmal tiefergehend, wie schwierig es ist, Rückschlüsse auf die tatsächliche Alltags- und Sachkultur einer Epoche herzustellen, und sei es auch so etwas vergleichsweise gut Dokumentiertes wie der zentrale Palast des Herzogtums Litauen und Polen. Ich würde sagen: Kann man sich anschauen.

In der Fußgängerzone seht übrigens ein „Portal“ – das erste das ich sehe. Ihr wisst schon, diese runden Videoübertragungsschirme, mannshoch, die Live-Bilder zwischen anderen Städten mit Portals übertragen, eine Art große Lupe in eine andere Metropole. Einmal als ich vorbeilaufe, ist die polnische Flagge über dem Bild eingeblendet, auf dem Rückweg die amerikanische. Erst denke ich: „Was für ein blöder Trend.“ Dann erwische ich mich beim freundlich Winken und Lächeln. Freundliche winkende Pol* bzw. Amerikaner*Innen winken zurück. Es verknüpft irgendwie.

Wäre das nicht ein Lösungsansatz: Sobald wir uns auf Augenhöhe persönlich begegnen bleibt nur ein freundliches „Hallo, du anderer Mensch.“

Anstatt Blut und Mord?

Als ich aus dem Museum komme ist der Wetterumschwung da und es regnet ein bisschen. Ich spare mir das Viertel Uzupis, das in den 90ern das coole Kreativen-Viertel wurde und mittlerweile eine durchgentrifizierte Touristenfalle für Gutverdiener und Kunstshopper sein muss. Ein Tipp aus dem Internet schickt mich ins Bahnhofsviertel, wo sich jetzt die junge Boheme in günstigen Wohnraum eingerichtet haben soll, und tatsächlich sieht die Ecke mit der Street-Art, den Graffiti und den nicht-so-schicken Menschen an der Straßenecke sehr vielversprechend aus.

Leider wird der Regen stärker.

Und zwar so stark, dass wir uns 10 Minuten später zu zwanzigst in ein winziges Bushaltestellenhäuschen drängen. Rinnsteine schwellen zu Bächen an. Einige arme Schulkinder und Jugendliche stehen pitschnass im strömenden Regen, aber sie lassen tapfer den Älteren das schmale und nicht sehr dichte Dach. Es ist direkt beim zentralen Busbahnhof. 25 Minuten lang fährt hier kein Bus. Wenn ich jetzt mitz Pegasus unterwegs wäre, wäre ich absolut verratzt, wie man in Süddeutschland trefflich sagt.

Das ist ein Eindruck, der sich in der litauischen Hauptstadt aufdrängt: Das öffentliche Nahverkehrssystem in Vilnius ist für eine 600.000-Einwohner-Stadt krass unterentwickelt. Starkregen setzt ein, die Welt wird grau. Endlich kommen die Busse und retten die nassen Menschen, alle drei Linien direkt hintereinander.

Das wars mit Vilnius. Denke ich, als ich Gaspard anlasse. Aber ich benötige über eine Stunde, um mich aus der Stadt zu schieben. Der Feierabend-Verkehr ist ein Alptraum, gegen den Palermo verkehrsberuhigt aussieht und der Tirana in nichts nachsteht, an den Ampeln stapeln sich die Karren. Eine einzige Kreuzung kostet mich 20 Minuten.

Erkennt jemand den Zusammenhang zwischen ÖPNV und Staubildung?

Nun ja, ich versuche dem Starkregenfeld davon zu fahren und lande an einer Memelbrücke. Ziemlich zufällig. Schon witzig, dass nach Herrn von Fallersleben hier Deutschland enden soll. Na ja, 1848 kann nicht viel für 1939. Gegen acht soll hier Regenpause herrschen, zur Not gibt es eine überdachte Hütte mit Bänken zum Kochen. Ein umsonst-Campingplatz mit einer großen, schönen Zeltwiese am Fluss.

On the bright side: Knie wird besser.

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