11.September2024. Ich erwache, weil es auf Gaspard regnet, es ist ganz schön laut. Draußen ist es stockfinster (natürlich, du pennst in einem Wald), nur der Regen rauscht auf mein Blechdach und trommelt mich aus dem Schlaf. Dafür ist die Matratze jetzt mit dem neuen Topper drauf endlich schön weich für mich. Hör auf zu trommeln, ja?

Der morgen ist leider noch immer verregnet. Also nix mit Brühkaffee, meinen Gaskocher kann ich nur bei geöffneter Hecktüre unter dem Bett hervorziehen, und die Vorstellung im Regen draußen zu stehen bis der Kaffee gar ist – Na ja.

Aber ich bin findig und kann mittels Tauchsieder, 240-Volt-Dose und Thermobecher eine Tüte Instant-Plörre hinbasteln. Lang lebe meine Solaranlage. Dazu ein Pain de Chocolat von gestern – perfekt. Allerdings hilft es danach nix: Im strömenden Regen muss im matschigen Laub Pegasus wieder auf den Heckträger gewuchtet werden, der war gestern abmontiert und übernachtete an der ab-hier-Eichenspinner-Gefahr-Schranke hinter dem Parkplatz. Die Franzosen nehmen das Räupchen ziemlich ernst. Gegen 7.00 fahre ich im Dauerregen aus dem Argonnerwald Richtung Westen.

Gegen 11.00 stehe ich im Dauerstau um Paris. Das Wetter ist nun besser, der Verkehr aber nicht. Paris ist mein Sorgenkind, denn mit einem Camper in der Stadt der Liebe ist es wie mit seiner Liebe in der Stadt der Camper: Niemand will das so recht. Der einzige Campingplatz im Stadtgebiet verlangt Preise wie ein Hotel, und alle Frei-Steh-Möglichkeiten werden im Internet mit Horrorszenarien umkleidet: „… Voller Fensterglas von den aufgebrochenen Autos …“ „… wenn dich die Drogendealer nicht stören …“ „… Gelegentlich klopfen Freier an deinen Camper, weil sie dich für eine parkende Prostituierte halten …“ etc.

Aber Versailles sah auf der App schon besser aus. Und tatsächlich stehe ich hier völlig legal am Straßenrand etwas abseits der Schlossgärten. Von Versailles aus ist man in ca. 45 Minuten mit dem Zug in Paris, für 4,20 € einfach.

Nur zwei mal umsteigen und ich stehe an der Station Père Lachaise benannt nach meinem Ziel: Anfang des 19. Jahrhunderts wird hier eine gewaltige Totenstadt errichtet, um die übervollen und sehr sehr ekligen bisherigen Friedhöfe der Großstadt abzulösen. Und hier lässt sich zur Ruhe betten, wer in Paris wer ist.

Wer in Père Lachaise eintaucht, versinkt in einem gewaltigen Memento-Mori-Traum aus Nekro-Architektur, Design und allgegenwärtigem Verfall. Père Lachaise ist eine gigantische Ansammlung aus Jahrzehnten von Trauer um geliebte Menschen und großbürgerlicher repräsentaiver Darstellung. Viele der Mausoleen und Kunstwerke sind vom Zahn der Zeit gründlich benagt worden, und geben ein beredetes Zeugnis davon, dass kein Ruhm und kein Ansehen lange überdauert, sondern alles irgendwann dem Verfall anheimfällt. Hier ein Minister dessen Ornamente vom Moos weggefressen werden. Dort ein Direktor der polytechnischen Akademie, dessen Engel nur noch einen halben Kopf hat. Das Mausoleum jener Industriellenfamilie hat statt einer Tür nur noch einen Haufen Rost.

Man kann sich hier herrlich verlieren in einer morbiden Tour der Details. Die gesamte französische, nein europäische Geschichte modert hier zwischen breiten Boulevards und engen Gässchen für den Totentanz des 19. Jahrhunderts. Dazwischen immer wieder moderne Gräber.

Eigentlich geht man hier her, um Promis zu besuchen, die sich gegen den Besuch nicht mehr wehren können. Hier liegt jede Menge Berühmtheit herum. Ich will zum Grab von Jimmy Morisson – warum eigentlich? Glaube ich an eine Art transzendete Präsenz des Doors-Sängers nach seinem wenig ruhmvollen Tod?

Von den Doors komme ich bis heute nicht los. Kennengelernt habe ich sie zu Abiturienten-Zeiten, und es gibt nicht viel Musik, die ich seitdem immer wieder rezipiere, genieße und darüber hinaus für ziemlich genial halte. Sowohl lyrisch als auch musikalisch war diese Band ziemlich einzigartig, Jimmys Grab ist eine Art Wahlfahrtsort für Fans.

Es ist darüber hinaus vergleichsweise klein und unscheinbar, liegt in zweiter Reihe und ist überhäuft mit Devotionalien, die langsam vor dem Stein genau so vergammeln wie Jimmy darunter.

Danach mache ich einen Besuch bei Moliere und La Fontaine, die nebeneinander liegen und vor denen eher geschmackvolle Blumensträuße als Zeichen der Verehrung abgelegt werden. Ganz anders Oscar Wilde: Sein Stein gleicht einem Opiumtraum, in dem sich eine Sphinx und eine siamnesische Göttin paaren, passenderweise bekommt Oscar eher Lippenstiftküsse auf die schützende Glasplatte verpasst und ranzige Kondompackungen dahinter geschmissen.

Danach bin ich satt mit morbider Todesatmosphäre, ich verzichte für heute auf Gertrude Stein, Edith Piaf und alle anderen, doch ich kann euch nur sagen: Vergesst den Louvre. Wenn ihr in Paris seid, geht dahin.

Letztendlich fahre ich zum Eifelturm, nur um festzustellen, dass die Kack-Olympiade einfach mal das gesamte Marsfeld von der Bevölkerung gesnatched hat, um da eine Art Athlet*Innendorf ohne Öffentlichkeit hinzubauen. Alles schön mit blickdichtem Bretterzaun statt öffentlicher Erholungsraum. Aber Sport ist ja wichtiger als wir alle.

Ich erstehe zwei Dinge, die mir im Bus noch fehlen: Duschgel und eine Badehose. In den letzten 20 Jahren war jede meiner Badehosen ein Notkauf on the road. Und so sehen sie auch aus.

oplus_34

Ich spaziere ewig an der Seine entlang, entdecke die kleine Freiheitsstatue, finde eine Pizzeria, die nicht ein Vermögen verlangt, finde den Zug zurück nach Versailles, hole Pegasus am Bahnhof ab und radele am Palast vorbei. Jetzt sitze ich in Gaspard,tippe und werde ziemlich müde.

Tja, Versailles … wäre auch noch so eine Walfahrtsstätte. Geburtsstunde der demokratischen Revolution 1789 – anders als dieser Aufstand der Dummen vor der Bastille – Geburtsstunde unseres Nationalstaats 1871, Ort des Friedensvertrags von 1918. Aber den Zugang kriegt man nur über vorgebuchten Timeslot und den hätte ich vorgestern buchen sollen. Vor morgen Nachmittag ist nix mehr zu haben.

Join the Conversation

1 Comment

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..