Der Himmel ist, als habe ein Barockmaler und eine Sturm- und Drang-Dichterin sich zusammengeschlossen, um das maximale aus ihren Programmatiken herauszuholen. Vor gleißendem, glasklaren Blau jagen sich weiße, graue und sturmschwarze Wolken. Der Wind pfeift um deine Ohren, während sich auf dem breiten hellen Strand gleißende Sonnenflecken und tiefe Wolkenschatten jagen. Dazwischen Regengüsse, selten aber dann heftig. Draußen auf dem Meer tosen die Wellen.
Omaha-Beach am 12.09.2024
In Versailes wache ich nach einer kühlen Nacht früh auf und schaffe es, mir den mühsam erspielten Kaffee zu salzen. Ich kenne mich mit meinen neuen kleinen Döschen noch nicht aus. Dann raus auf die Autobahn, die Scheibe taut Ewigkeiten nicht ab, halber Blindflug, dann Pariser Rushhour (Deutschland-Gefühle kommen auf), dann raus nach Norden und schlagartig wird der Himmel weit und die Straße leer.
Die Normandie steht 2024 ganz im Zeichen eines Jubiläums. Deshalb ist es ein äußerst schlechter Zeitpunkt, sie zu bereisen. Überall kurven englische Wohnmobile wie Hummeln mit Motivationsproblemen herum, an jeder Straßenkreuzung kann man beim zu scharf Abbiegen einen aufgestellten Weltkriegspanzer anschrammen und alle Dörfer sind mit alliierten Fähnchen geschmückt und versuchen irgendwie, wie auch immer, einen kleinen Teil des großen Gedenk-Geschäft-Profits rauszuschlagen. Weh über das Dorf, an dem 1944 gar nix passiert ist! Es kann nur Unterkünfte bereit stellen.
Ehrlicherweise bin ich wegen dem ganzen Rotz hier.
Zunächst lande ich bei einer deutschen Batterie im Gold-Sektor, aber nur, weil mir der Stellplatz dort im Internet angepriesen wurde. Das hat sich inzwischen erledigt – der mit EU-Förderung aufgestellten nagelneuen Beschrankung und Parkraum-Verwaltung sei dank – aber der Blick von der Klippe auf Omaha, Gold und Juno ist wahrhaft atemberaubend. Auch die typischen deutschen Bunker mit den dicken Kanonen sind einen Blick wert, aber tatsächlich habe ich das Gefühl, ich kenne die Dinger so gut aus Spielen und Filmen, dass sie mich gar nicht groß faszinieren und ich vor allem die hohe Auflösung und den Detailgrad der Texturen schön finde.
Die Normandie ist ein hartes Pflaster für Camper, weil es so viele gibt. So ziemlich alles ist ein Feld, Straßen sind bolzengerade und Wälder eine Sensation. Es gibt also gar nicht groß Auswahl, wohin man sich mit einem WoMo verziehen kann, wenn man die offizielle Versporgungsstruktur meiden möchte. Aber ich finde dennoch eine Gemeinde, die Über-Nacht-Steher auf einem ihrer Parkplätze akzeptiert, gleich hinter dem Ortsschild an der Bundesstraße. Ironischerweise stehe ich neben der Schule.
An dieser Stelle möchte ich der Gemeinde Port en Bessin herzlich danken.
30 Minuten Fahrradfahrt von hier bis zum Omaha Beach und ich muss nur einmal Schutz unter einem Baum vor dem Starkregenguss suchen. Dann entfaltet sich vor mir jene oben beschriebene traumhafte Szenerie. Es ist schon grotesk: Hier, wo im Juni 44 ein großes blutiges Gemetzel stattfand, präsentiert sich mir eine Meeresidylle wie aus einem französischen Familienfilm. Allerdings steckt hinter dieser kognitiven Dissonanz auch eine bedrohliche Aktualität. Hier stellten sich demokratische Nationen in einer direkten Konfrontation dem Scheusal des Faschismus entgegen, um seiner Herrschaft über Europa ein für alle mal ein Ende zu setzen. Zwar mit hohem Aufwand an Mitteln, Technik und Menschenleben, weil konservative und liberale Politiker schon damals jeden Schritt der Bekämpfung von Rechtsextremisten vor dem Angriffskrieg mit durchgängiger Ausbremserei behinderten, aber dann, als man die Gefährlichkeit der Extremisten für jeden und alle nicht länger leugnen konnte (die Konservativen und Liberalen auf der Welt konnten das unglaublicherweise bis zum September 1939), dann halt doch und erfolgreich.
Antifaschismus könnte so einfach sein.
„Ein für alle Mal“ hat leider nicht funktioniert, und angesichts der bröckelnden Betonbunker wird mir immer unverständlicher, wie man europaweit das Wählen von Faschist*Innen wieder zulassen kann, ohne dass man sich die Sinnlosigkeit des Verhandelns mit diesem Pack angesichts der rostigen Kanonenrohre der Normandie wieder ins Gedächtnis ruft.

Der Regen ist ein Arsch. Während ich es schaffe, wenigstens in einer Regenpause mir Parmesan-Spaghetti zu machen, verregnet er mir das Abspülen. Natürlich nur 15 Minuten lang. In der Nacht werde ich dann wach, weil es in Gaspard hineinregnet. Panikmodus. Wo kommt das Tropfen im Innenraum her? Fuck,das Wasser läuft durch die seitliche Schiebetür! Das hat es noch nie gemacht, bei allen Güssen der letzten Tage, bei Gaspards Canstatter Aufenthalt seit Februar in X Gewittern – immer war es trocken im Innenraum. Warum jetzt?
In diesen Momenten hasse ich Camper-Urlaube.
