Irgendwas macht mich sehr früh wach. Sei es das Gefühl, von dutzenden Wohnmobilen umgeben zu sein, sei es die schiefe Lage des Stellplatzes, die mich gegen die Bordwand drückt. Wie auch immer: Um 6.00 rolle ich vom Platz und aus San Sebastian. Und bin eigentlich instant in Frankreich. Endlich wieder Rastplätze!
Diesel ist hier viel teurer!
Von Porto hatte ich mir viel versprochen und war underwhelmed. Bordeaux hingegen war nur ein Name auf der Karte und eine gute Station. Wein kam mir noch irgendwie in den Sinn. Und holy moly (schreibt man das so?) ist diese Stadt cool und geil! Danger Dan hat hier Autos geknackt und ein Lou Reed Konzert gesehen (falls er nicht lügt).
Und ja ja, stimmt alles: Unesco Weltkulturerbe, quasi komplett erhaltener historischer Stadtkern an der Garonne, wunderhübsch, mehr Kirchen und Museen als man an einem Tag schaffen kann. Aber nicht als verkaufsfördernde Kulisse, sondern Bordeaux lebt und pulsiert in den alten Gassen. Die Garonne ist randvoll und schlammig, aber der große Regen scheint vorbei.
Ich fürchte, es könnte das nächste Porto sein.
Irgendwann stolpere ich in den Karthäuser Friedhof. Er hat eine Gemeinsamkeit mit Pierre Lachaisse, den ich ja hier schon vorgestellt habe: Er wurde etwa zur selben Zeit und mit der selben Absicht errichtet, nämlich eine Art Park der Toten für die Lebenden zu bilden. Er ist mindestens so gigantisch und auch hier übt der Verfall und das Bröckeln der Denkmäler auf mich diese unwiderstehliche, vielleicht leicht ungesunde Faszination aus. Bei den Mausoleen aus dem späten 19. Jahrhundert ist es jetzt so weit, dass die eisernen Türen alle wegbröckeln. Man kann in die Innenräume kucken, sieht den gammelnden Müll der Funeralkultur. Ein halb zerfallenes Zinkblechmausoleum ächzt und klappert bei jedem Windstoß, das Giebelkreuz hängt im atemberaubenden Winkel über dem Weg. Kunstwerke aller Epochen gehen langsam den Weg derer, zu deren Ehren sie angefertigt wurden. Ich bin hier fast alleine – im Gegensatz zu Paris – und unwillkürlich wird mein Blick und mein Gang langsam, sehr entspannt. Hier trifft die Vergangenheit auf die Gegenwart und das Ende auf das Leben. Details erzählen hier Geschichten.










Friedhöfe könnten mein nächstes Obsessions-Ding werden.
Gegen Nachmittag bin ich zurück bei Pegasus, den ich diesmal direkt vor einem unverkennbaren und ausreichend großen Denkmal zurückgelassen habe. Ich mache nicht den selben Fehler nochmal! Fahrradfahren kann man in Bordeaux ganz gut. Endlich mal bin ich in einer flachen Stadt! Es gibt viele breite Fahrradwege. Nur manchmal führen sie aus unerfindlichen Gründen ins Nichts oder mir wird einfach nicht klar, wo meine Fahrradspur nun weitergehen soll. Guter Ansatz mit absurden Wurstenden.
Am Ende lande ich im Darwin-Quartier. Das war mal eine Kaserne, doch in den Ruinen ist ein urbanes alternatives Projekt gewachsen, das … sagen wir mal, Berlin hätte gerne so eine coole Szene-Ecke wie Bordeaux. Street-Art vom Feinsten an jeder Wand, Gastronomie ohne Franchise-Scheiße, Werkstätten und Workspaces, Projekte, Konzerte, Skate-Halle, Urban Gardening. Man kann hier einfach nur fasziniert rumwandern und entdecken.
Allerdings macht sich hier auch schon langsam Gentrifizierung an der populären Schokoladenseite der Anlage breit. Turnschuhe für 130 Euro oder Lastenräder für 4500 Steine sind nun wirklich nicht mehr links, sondern maximal noch württembergisch-grün, für Ulla und Klaus aus der 180 Quadratmeter-Wohnung, er bei Bosch Auspuffdesigner und sie bei Facebook Datenanalystin, doppeltes Einkommen im Akademiker*Innenberuf, aber dann schön auf dem Bio-Markt Kartoffeln für 12.99 das Kilo mit dem Lastenrad nach Hause kutschieren.
Wenn Ulla und Klaus abhauen aus dem Quartier, bleibt es schön streetie hier.
Gaspard parkt heute außerhalb an einem Teich, wahnsinnig idyllisch, diesmal habe ich die Frontrow und nur ein anderer Camper ist noch aufgetaucht. Jetzt stecke ich in einem Dilemma: Es ist hier nachts alles komplett mückenverseucht und Gaspard innen aber gerade noch stechfliegenfrei. Andererseits müsste ich dringend raus und Wasser lassen. Wie löse ich diesen Konflikt nur?
Eines steht jetzt schon fest: Die Blase gewinnt am Ende immer.

Ah, oui, Bordeaux! Tres jolie! Eine tolle Stadt, sehr lebendig und ‚fresh’… warst du im Kunstmuseum im alten U-Boot-Bunker? Das ist sehr geil!
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Nope – ich war nur auf dem Friedhof und im coolen Street-Art-Viertel. Das genügt mir aber auch für einen absolut gelungenen Tagesausflug.
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