Ich habe es jetzt durchgerechnet: Als ich gestern, nach einer einigermaßen erfolgreichen Laptop-Reparatur gegen 23.00 versuche das Licht auszumachen, liegt noch ein zarter heller Streif am Horizont. Es ist dämmerig. Und als ich um 3:34 aus dem Bus muss, weil meine Blase drückt, ist schon wieder ein heller Streif im Osten zu sehen. Dass sind keine weißen Nächte, aber eine Nachtphase von guten vier Stunden habe ich jetzt noch nicht erlebt in meinem Leben.
Aber hell ist gut
Ansonsten ist die Nacht arschkalt und als ich um halb sechs aufstehe scheint bereits die Sonne. Tallinn ist um diese Uhrzeit wie ausgestorben, ich kann quasi auf Pegasus durchradeln und nur zwei oder drei Mal begegne ich anderen Autos. An der Fähre sieht das anders aus. Mal wieder ist Rad und Fähre nicht wirklich kompatibel. Ich muss in der Autoschlange einchecken und stehe dann mit Pegasus zwischen den Autos in einer der Lanes, und das ziemlich lange. Warum wird ein Fahrrad einerseits als Fußgänger behandelt (Albanien), andererseits als Auto (Estland), aber nie als Fahrrad? Wenigstens werde ich als erstes in die echt riesige Fähre gewunken.
Es gibt sicher Geileres, als mit Pink Floyd auf den Kopfhörern über die spiegelglatte Ostsee zu gleiten, aber es kann nicht viel sein. Wolkenlos blauer Himmel. Die Fähre ist ziemlich neu und echt gut ausgestattet. Schären kündigen das nahende Festland an. Kurz nach 9:30 radele ich aus dem Bauch auf finnischen Boden und bin zum ersten Mal in meinem Leben in …
Skandinavien.
Leider kann ich in meinem Hostel erst um 14.00 aufs Zimmer und muss solange mit dem Rucksack durch die finnische Hauptstadt. Erster Eindruck: Cooler Spot. Alles zwischen Klassizismus und Postmoderne. Zweiter Eindruck: Fuck, diese Preise! Lange kann ich mich hier nicht aufhalten, das gibt mein reisegezeichnetes Konto auf Dauer nicht her.
Erste Station: Das Helsinki Art Museum, denn dort gibt es eine Tove Jansson Ausstellung. Tove Jansson? Kennt keiner? Wer sich aber aus meiner Generation an „die Mumins“ erinnert, der hat ihre magischen Welten schon einmal gesehen. Es sind nicht viele Werke von ihr dort ausgestellt, aber die, die man sehen kann, atmen genau diese magische, verträumte und teilweise groteske Atmosphäre aus, die mich schon als Kind in der Animationsserie verzaubert hat. Die restliche Ausstellung ist ok. Für 20 Euro hätte ich es überteuert gefunden, aber mein Lehrerausweis verschafft mir einen ermäßigten Eintritt.
Latte und Croissant in einem architektonisch atemberaubenden Art-Deco-Kaffee in Hafennähe. Herumradeln. Mittagessen aus dem Supermarkt auf einer Parkbank. Möwen fliegen tollkühne Angriffe auf meine Gouda-Packung, ich muss eine mit dem hochgereckten Fuß abwehren, so dass diese sekundenlang vor meiner Sohle schwebt und mich ärgerlich anstarrt.
Davon hätte ich gerne ein Foto gehabt.
Mein Hostel ist nur dezent abgeranzt und verspackt. Und dann überkommt es mich: Zwischen drei und fünf fallen mir die Augen zu und ich falle ins Bett. Helsinki, und er verpennt den Nachmittag. Aber dann bin ich wieder topfit und radele in den Vergnügungspark. Einige Kilometer nördlich vom Zentrum liegt einer, der seit 1950 existiert. Der Eintritt ist frei, die Fahrgeschäfte kosten. Das Ganze verströmt den Charmes von klassischen Conny-Island-Szenen und ist wunderhübsch. Außerdem steht hier eine der wenigen historischen Holzachterbahnen Europas. Die muss ich natürlich mitnehmen, denn so etwas findet man sonst nicht.
Eine Fahrt kostet 11 Euro.
Aber sie macht Spaß und der Blick von ganz oben über Helsinki ist gut. Und dann entdecke ich die Spielhalle. Da stehen noch echte Flipper. Drei Spiele für zwei Euro ist das billigste, was du jemals in Helsinki finden wirst.
Abendessen in einem Kebab-Laden. Dann lande ich in einer Rockkneipe ziemlich zentral in der Innenstadt, standesgemäß baumelt von der Decke ein Motorrad. Die am Abend dort spielende Hardrock-Band versteht ihr Handwerk. Schnörkelloser klassischer Hardrock mit stahlharten Riffs und präzisen Breaks. Die Lautstärke geht in Richtung ohrenbetäubend und die Jungs sehen alle aus, als wären sie für einen Aki-Kaurismäki-Film gecastet. Der Laden wird, als sie loslegen, mit einem Schlag sehr voll und die Finnen wissen definitv gute E-Gitarren-Mucke zu schätzen.
Im Grunde gibt es nichts Skandinavischeres als laute E-Gitarren und pervers teures Bier.



Also die Finnen zählen sich definitiv nicht zu Skandinavien. Aber die Hardrock-Kultur dort ist toll. Alleine schon, dass Apocalyptica dort in der Johanneskirche Konzerte geben dürfen zeigt wie kulturell verwurzelt das ist. Nach Linnanmäki habe ich es nie geschafft, da ich meist im Winter dort war, kann aber den Wunsch eine echte Holzachterbahn zu fahren absolut nachvollziehen. Bei mir steht ein Holzstück von Wodan als Buchstütze. Wobei Wodan ja vom Europa-park quasi kastriert wurde. An Stellen mit viel Verschleiss wurde nun Stahl verbaut. Und wegen der Anwohner (Lärm) wurden die hoch gelegenen Bereiche quasi mit Holzwänden eingetunnelt, so dass man keinen Blick mehr hat.
Und die Mammut in Tripsdrill ist nicht so hoch.
Aber ich schweife ab. AbikorrekturProkrastinismus.
Weiterhin gute Reise!
Liebe Grüße
Cordula
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Danke für deine Infos. Also die Fahrt im Dunkeln durch den Brettertunnel ist am Ende noch mal ein Kick mit dem Ding, fand ich. 🙂 Der Vergüngungspark lohnt, auch wenn die Fahrgeschäfte echt teuer sind. Aber: Flipper!
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