Auf diesem Blog war es lange still. Das liegt vor allem daran, dass sich meine Pläne geändert haben, was sich in dem reißerischen Titel des Eintrags äußert. Aber seid beruhigt, hier als Entwarnung:

Ich sitze auf der angenehmen Seite im Gerichtssaal.

Seit 2024 bin ich Schöffe, oder wie das Gesetz so sagt: Ehrenamtlicher Richter. Schöffe ist ein Ehrenamt, zu dem quasi fast jeder kommen kann. Also, wenn drei Dinge zutreffen: Man muss die deutsche Staatsbürgerschaft sein eigen nennen, man darf keine strafrechtlichen Einträge in der Polizeiakte haben und man muss sich zur Wahl stellen. Wobei Wahl hier gleich Auswahl heißt: Aus den Bewerbungen für das Amt erstellt ein Wahlausschuss der Gemeinde eine Liste mit den aktiven Schöffen, die Berufung gilt auf 5 Jahre.

Was wenige wissen: Eine juristische Kammer setzt sich aus gleichberechtigten Personen zusammen. Das heißt, dass die Schöffen in der Urteilsfindung genau das gleiche Stimmrecht haben, wie die professionellen Juristen, die zu Gericht sitzen. Was auch wenige wissen: AfD-Kreisverbände spitzen ihre Mitglieder gerne an, wenn die Schöffenwahl ansteht, damit der schöne alte Volksgerichtshof zurückkehrt und man als strammer „Normaler“ ein wenig gegen die woken Urteile der Wohlfühljustiz kämpfen kann. Man kann also FDGO-Ultras bei der Schöffenwahl gut gebrauchen. Ich bin zwar auch alt, weiß, privilegiert und männlich, aber kein Nazi. Besser ich tue meine Pflicht als guter Bürger, als ein schlechter Bürger, der das System bekämpfen will.

Ich bin „nur“ sogenannter Ersatz- oder Hilfsschöffe. Ich komme zum Zuge, wenn ein bestellter Schöffe spontan vom Baum fällt oder wenn Termine neu angesetzt werden, die in der bisherigen Verhandlungsplanung des Gerichtsjahres nicht vorgesehen waren. Ich war bisher zweimal im Landgericht Stuttgart im Einsatz, beides mal sehr kurz: Zum einen ging es um die Berufung in einem Fall von gewerbsmäßigem Handel mit Canabis; das war spannend, weil zu diesem Zeitpunkt sich die Gesetzeslage zwischen Ersturteil und Berufung ziemlich geändert hatte. Der zweite Fall dauerte genau zwei Stunden, und war auch eine Berufungssache, in der jemand ursprünglich mal in einer Stuttgarter Spielothek zu jemand anders „Du Hure“ gesagt hatte.

Wenig spektakulär.

Nun flatterte mir aber eine Ladung mit 16 angesetzten Verhandlungstagen in den Briefkasten, von Juni bis Oktober. Ich hätte vermutlich ablehnen können mit dem Verweis auf meinen geplanten Urlaub auf den britischen Inseln. Aber wann würde ich jemals wieder so oft ins Landgericht kommen? Und – was liegt da vor? Zeugen müssen ja dicke geladen worden sein. Also cancellte ich nach 15 Minuten Abwägen den Trip auf die Orkney-Inseln und sagte für den Prozess zu.

Im Grunde weiß ein Schöffe vor seiner Ankunft am Gericht nicht, worum es in dem Fall geht. Er soll möglichst unbefangen in den Fall steigen und nicht schon vorher sich über die Stuttgarter Journalie ein schönes Boulevard-Blatt-Bild der Tat basteln. Ich spekulierte ein bisschen: Gang-Kriminalität? Mord? (zu viele Zeugen für Mord). Bandenmäßiger Betrug?

Tata: Steuerhinterziehung.

Das klingt jetzt erstmal ein bisschen trocken. Gut, die hinterzogene Summe ist hoch, laut Anklageschrift im Millionen-Bereich. Daher landet der Fall auch vor der großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts. Allerdings: Die hinterzogenen Gewinne und „Zuwendungen“ wurden im Rotlicht-Geschäft mittels dreier Großbordelle in Stuttgart, Frankfurt und Saarbrücken „erwirtschaft.“ Angeklagt ist der „Rotlichtkönig“ von Stuttgart und aussagen wird ein fröhlicher Ringelreihen von Leuten, die Bordelle betrieben oder mit viel Geld finanziert haben.

Jackpot.

Besonders spannend ist, wer irgendwie und auf welche Weise mit dem konkreten Betrieb der Edelpuffs betraut wurde. Erkenntnis: Als Geschäftsführer im Bereich der gewerbemäßigen Prostitution braucht man offensichtlich keinen wirtschaftlichen Background. Spannend ist auch, welche reichen Leute alles dachten, eine Investition in ein Großbordell sei eine ganz normale Business-Oportunity. Da ist der reiche Erbe einer Gewürz-Dynastie, der nach dem Verkauf des Familienunternehmens mal ein paar sechsstellige Summen springen lässt; Da ist der Farben- und Teppichhandel, der das obsolet gewordene Tepichbodenlager den Herren aus dem Rotlicht vermietet, die daraus ein Bordell machen, und exorbitante Mieten dafür zahlen, weil das Familienunternehmen durch die „Parketkrise“ der 2000er in finanzielle Schieflage geraten war; Da ist der Manager einer sehr bekannten Motorsportpersönlichkeit, für den Bordelle auch ein ganz normales Investitionsgeschäft waren. Am anderen Ende der Fahnenstange stehen die Hells Angels, „Security“, die die Hand für unversteuertes Bargeld aufhalten und die Zwangsprostituierte aus Osteuropa verprügeln, wenn „Drecksarbeit“ anfällt, d.h., wenn da eine nicht mehr will.

Es ist hochinterresant zu sehen, wie sich die feine Gesellschaft mit dem organisierten Verbrechen mischte. Am Ende haben sie sich alle beschissen und nicht mehr bezahlt, sich gegenseitig verklagt oder sind von der Staatsanwaltschaft vor die Schranken des Gerichts gezerrt worden.

Bei uns geht es aber nur um die Steuerhinterziehung, die anderen Dinge wurden bereits verhandelt. Am Ende wird es wohl um eine Verständigung gehen, damit der Staat möglichst viel von dem Geld wiedersieht. Aber noch hat der betreffende Angeklagte – natürlich durch die Sache total verarmt – keine Geldreserven finden können. Mal sehen, unter welcher Matratze die noch auftauchen.

Im Moment schreibe ich diese Zeilen aber aus der Champagne. Verhandlungspause. Ich habe die Woche ohne Sitzung sofort als Gelegenheit ergriffen, Gaspard zu packen und mich in die Wälder zu schlagen.

Heute ist Nationalfeiertag.

Ich hätte das aber gar nicht gemerkt, wenn ich nicht an einem geschlossenen Carefour vorbeigefahren wäre und mich gefragt habe, warum der am Montag zu hat. Als in Polen Staatsfeiertage waren, da sah man das Land vor Rot-Weiß quasi kaum mehr. Hier habe ich heute bisher nur Nationalflaggen an den zahlreichen Militärfriedhöfen entlang meiner Strecke gesehen.

Sympathisch.

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1 Comment

  1. Das sind sehr spannende Geschichten. Ich habe mal für einen IT-Dienstleister programmiert, der für das dann später vererbte „Gewürzimperium“ tätig war. Es ging ja nicht nur um Gewürze. Also Beispielsweise ein Pulver, dass Du ( als Metzger) zu Fleich“rest“stückchen gibst, das die Fleischproteine veranlasst sich zu einem zusammenhängenden Stück Fleisch zusammen zu schliessen und voila: Schnitzel.

    Es bestand da auch durchaus Interesse von Außerhalb der Firma an den Rezepturen der kleinen Helferlein und von besorgten Kunden danach zu wissen, welcher Metzger sich dort mit Helferlein eindeckt..

    Die „guten“ Metzger gegen die panschenden Metzger. Das war so ein Thema, dass die IT der Firma ihre Daten auch uns gegenüber abriegelten und es kaum noch möglich war unsere Arbeit zu tun.Jedenfalls finde ich, das war für mich auch schon kein „würdiges“ Geschäft mehr und der Abstieg zur Prostitution nicht sooo weit.LG

    Coreli

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