Ich habe lange nichts mehr geschrieben. Es ist aber auch nichts viel erwähnenswertes passiert. Von Calais aus nach Belgien, von da aus in die Niederlande, um liebe Freund im Urlaub zu sehen. Danach die lang Rückfahrt in den Süden und dann stand die nächste Veranstaltung an: eine Woche LARP im Saarland, so wie jedes Jahr. Alte Freunde sehen, eine gute Zeit haben, danach völlig fertig sein.

Und schwups ist mein Jahr zu Ende.

Alles riecht jetzt nach Abschied. Die Luft, die Tage, der helle Septemberhimmel. Und es gibt da einen Abschied, der muss besonders angemessen und würdevoll sein. Ihr wisst schon.

Gerade fahre ich die letzte Tour mit Gaspard. Durch Frankreich, mangels bessere Ideen und weil es eigentlich unser angestammtes Kernterritorium ist. Der Wehmut hat mich ergriffen. Die vielgeübten Handgriffe des Alltags in meinem Mobil werden langsam zu kleinen sakralen Symbolen, über allem schwebt der schwere Grundton des „letzten Mals.“ Und so viele Tage sind es auch gar nicht, bis ich wieder zuhause Termine habe. Nochmal ein bisschen mit dem alten Kerl rumtouren, dann ist Schluss.

Mein Laptop pfeift auf dem letzten Loch. Buchstäblich. Nachdem die Schnellreparatur auf dem Stadion-Parkplatz von Talinn drei Monate hielt, kann ich jetzt das Scheppern des Lüfters nicht mehr mit Reinpusten beheben. Dafür habe ich beim Reparaturversuch jetzt die Tastatur verbogen. Aber er startet noch. Der neue ist schon bestellt, auch hier heißt es nun: Abschied.

Ich war ein bisschen im Foret de Paroy bei Luneville – wegen der Vergessenheit. Zwei Weltkriege haben in dem Wald getobt, heute kennt ihn keiner mehr. Ich war ein bisschen in den Wäldern von Spada, auch da liegt tiefstes Vergessen über den stummen Zeugen der Vergangenheit im Wald, bemoster Beton, auf den jetzt die ersten Blätter rieseln.

Heute steht nun die letzte Nacht an. Nichts wäre passender, als sie auf dem Schlachtfeld von Verdun zu verbringen. Ich habe heute zuerst ein bisschen einen Stadttag eingelegt und den Morgen an der Maas gestaltet. Die neue Ausstellung in den unterirdischen Tunneln der Zitadelle habe ich jetzt all die Jahre verpasst, ich glaube 2016 oder 2018 wurde sie eröfnet. Die alte kannte ich noch aus Studentenzeiten, es war eine ziemliche Weltkriegs-Geisterbahn, durch die man mit einem Schienenwagen gekarrt wurde.

Es ist noch immer eine Geisterbahn.

Die Filmchen sind neu gedreht und man kuckt sie nun mit VR-Brille. Es sind aber zweidimensionale Filmchen, die vor einen in den Tunneln schweben wie eine animierte Spielkarte, während man in einem nun computergesteuerten Wagen durch die Tunnel fährt. Ansonsten ist die Präsentation genau so wirr und unzusammenhängend wie früher. Schön dass sich manche Sachen auch mit modernster Technik nicht groß ändern.

Nun sitze ich an meinem Lieblingsplatz auf dem Schlachtfeld, auf der Kuppel des Kanonenturms der Festung Froideterre, unter mir parkt der liebe Gaspard und Schäfchenwolken treiben über dem abendlichen Himmel. Gleich ist es auch Zeit für das letzte Abendmahl.

Der Mensch gewöhnt sich ziemlich schnell an Dinge. Zum Beispiel an Freiheit und Selbstbestimmung. Beides hatte ich 14 Monate lang in höchstem Maße. Es war eventuell das beste Jahr meines Lebens. Nun wartet auf mich die Rückkehr in die Lohnarbeit, als nützliches Mitglied der Gesellschaft. Nur Milliardäre dürfen davon für immer pausieren, aber ich bin kein Milliardäre. Grob gerechnet werde ich 10 Jahre brauchen, um mir ein drittes Jahr raus zu erkämpfen.

Wer weiß, wie die Welt bis dahin aussieht …

Wenn die Sonne weg ist, dann wird es jetzt im T-Shirt schon kühl. Morgens ist das Gras taufeucht, die Spinnennetze bilden prächtige Kronleuchter. Die Bauern an der Maas ernten gerade ihre Felder leer. Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich los auf große Fahrt, ein unendlich langer Sommer quer durch Europa lag vor der Kühlerhaube. Es war wunderbar, darauf zuzuhalten. Aber die Schatten sind nun wieder länger.

Der Sommer ist vorbei.

P.S.: Wer demnächst einen alten, aber braven und vergleichsweise günstigen Camper kaufen will, der melde sich bitte. Gaspard braucht eine liebe neue Besitzer*In.

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2 Comments

  1. Oh nein, was ein Abschied! Vielen Dank, Gaspard, dass du Achim so treu und sicher durch die Freiheit und Selbstbestimmtheit getragen hast! Vielleicht will Achim dich ja doch behalten? Warum eigentlich nicht? 😞

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