Der Sonnenaufgang über dem Fluss ist genau so bombastisch wie der Tags zuvor am Grabhügel. Flott jetzt Kaffee (Zucker gibts jetzt auch) und dann wird eine Schüssel mit Seifenlauge warm gemacht, es ist Waschtag. Heute habe ich eine lange Strecke vor mir, ich muss an die Atlantikküste runter. Da will ich von Kopf bis Fuß sauber sein. Und früh los.
Wer aus der Bretagne kommt, auf den wirkt die Landschaft südlich davon wie ein ausgeblichenes Bild, auf das zu lange die Sonne gebrannt hat. Es ist trockener, alles ist flach, überall sieht man am Horizont Industrieanlagen. Landschaftlich gefiel mir der Norden wesentlich besser.
La Rochelle hingegen ist schön und strahlt massiv den Charme des 18. Jahrhunderts aus, als die Stadt das Tor zu Frankreichs Kolonien war. Übrigens: Das Migrationstor schlechthin für Franko-Kanadier.
Schon wieder die Kanadier.
Darüber hinaus ist es ein Tourismusstrudel. Am alten Hafen konzentriert sich Alles. Hier gibt es nur noch Restaurants, vielleicht nochmal ein Souvenir-Geschäft dazwischen, eines steht neben dem anderen, man kann sich aussuchen: Muscheln, Burger, Crepes oder Pizza. Dann geht es von vorne los. Überhaupt Muscheln, Muscheln, Muscheln, der Spargel der Atlantikküste. Straßenmusiker begleiten die Szenerie, Breakdancer schlagen Salto, vor den Hafentürmen legt Sonntags ab 18.00 ein DJ auf.
Zirkus en gros.
Sobald man drei Straßen davon wegkommt ist La Rochelle tot. Zumindest an einem Sonntag. Man hat Mühe, abseits offene Cafes und Restaurants zu finden. Eine so schöne Stadt hätte eigentlich etwas Besseres verdient.
Was La Rochelle aber hat, ist ein geiles Fahrradwegenetz.
Von dem Vorort, in dem ich Parke bis zum Hafen: durchgängige Fahrradspur. Am Hafen: Fahrradstraßen. Für den Autoverkehr gesperrte Bereiche und Brücken. Fantastisch, habe ich in dieser Konsequenz noch nie gesehen und holla, fahren viele Leute hier Fahrrad. Man kann sich überall welche leihen. Davon könnten sich deutsche Städte viel abkucken, wenn die deutsche Verkehrspolitik bereit wäre, irgendwelche internationalen Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen.
Dann sterbe ich fast.
Oder hätte einen schweren Beinahe-Unfall. Auf der Rückfahrt, im Kreisverkehr. Ich bin im Rund, auf dem Fahrradweg, habe ganz klar Vorfahrt. Dieser Typ im weißen Transporter von rechts, der langsam heranrollt, kuckt mich eindeutig an, sieht mich. Marke Bürstenhaarschnitt und Sonnenbrille, sonnengebräunt, Tatoos am Oberarm, Type südfranzösischer Mafiosi. Aber er sieht mich ja, oder? Er kuckt mich ja direkt an, ja?
Er hält nicht.
Als ich erkenne, dass ich jetzt selbst kaum noch eine verhindernde Aktion einleiten kann, und unweigerlich auf seiner Kühlerhaube landen muss, haut er dann volle Pulle auf die Bremse. Ich wette, er hatte die ganze Zeit schon den Fuß auf das Pedal aufgesetzt. Ich brülle ihn vom Fahrrad auf Englisch an, das war volle Absicht um ein Zeichen zu setzen. Das Auto ist der Stärkere, ich habe Vorfahrt. Was für ein dummes, dummes Arschloch, was für ein Generalsbeispiel dafür, dass man dem Machtmittel Auto auf gar keinen Fall mehr die Städte überlassen darf. Oder Männer ans Steuer ohne psychologische Begutachtung. Ich wünsche mir, dass der Kerl für diese Aktion für die nächsten 10 Jahre mit heftigen Erektionsproblemen und Brennen beim Wasserlassen gestraft ist. Und seine Mama ihm nie mehr sein Lieblingsessen kocht.
Ich bin zwar tot, aber ich hatte Vorfahrt.
So, nachdem ich mir jetzt das von der Seele geschrieben habe, auf einem Parkplatz neben einem kleinen Park, geht es mir etwas besser. Ich drehe jetzt noch eine Runde durch das Viertel und schaue, ob ich noch ein Glas Wein bekomme.
Auf das Leben.
Untot ist das längere Leben… Wenn man einen netten Nekromanten hat, kann sich das zu einem coolen Afterlife entwickeln!
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