Während ich meinen Salat putze beobachte ich mit wachsender Faszination das ältere französische Pärchen mit dem Kangoo vor mir. Sie, spindeldürr und hochgeschossen, hat inzwischen den dritten Plastikbecher Tetrapack-Rotwein und eine Zigarette in der Hand, er, Typ Joachim Kroll, zieht ein Baumarktpaket ganz unten aus dem Kofferraum, nachdem er sämtliches Campingequipement zuvor auf der Wiese gestapelt hat. Das Paket entpuppt sich als Blechsteckregal. Beide beginnen auf dem Parkplatz neben ihrem Campinghaufen das Blechregal zusammenzufieseln, was sehr viel lautes Gedengel auf einzelne Presstahlelemente des Möbels mit einem Radmutterschlüssel erfordert, so viel, dass ich der Meinung bin, dass die Konstruktion eigentlich anders gedacht gewesen sein muss. Ich bin mittlerweile beim Abwasch angekommen, da steht ihr Regal endlich, nach über einer Dreiviertelstunde und zwei Bechern Rotwein. Sie lächeln sich verliebt an, süß und hässlich gleichzeitig. Was fangen die beiden mit einem Kellerregal auf dem Parkplatz an? Spannend. Joachim wuchtet dann das Lagermöbel flach in den Kofferraum des Familienkistchens und schnmeißt auf das nun längs liegende Regal zwei große Leimholzbretter, fängt danach an eine Luftmatratze aufzupumpen. Olivia (die von Popeye) fängt an den Kladeratsch von der Wiese in die liegenden Regalfächer zu schieben.
Jetzt wird mir schlagartig die Idee dahinter klar und ich kann das You-Tube-Video förmlich vor mir sehen, dass die beiden Franzosen dazu angestiftet hat: „So machst du mit 50 Euro in 15 Minuten aus deinem Kombi ein CAMPINGMOBIL!“ Thumbnail, Click. Der französische Fynn Kliemann präsentiert.
Natürlich funktioniert das abseits des Schnitttisches nur so halb. Das Regal und die Bretter liegen nicht stabil, weil der Kofferaumboden nicht flach ist sondern Riffel und Wulste aufweist. Beide unterfüttern ihre Konstruktion mit Wäschestücken, aber es wird wohl dennoch eine eher unbequeme Nacht werden.
Hoffe, sie haben den Kanal nicht abboniert.
10 Stunden zuvor: Aus meinem perfekten Sonnenaufgangmorgen, nur ich, Gaspard und der Strand, wurde nix. Grund: Es ist bewölkt. Statt dramatischer Wolkenbilder ist es eher so, dass eine gelangweilte Göttin sehr langsam das graue Licht hochdreht, mit geringer Motivation. Dennoch ist es sehr schön so einsam zu stehen, vom wach Werden bis zum Losfahren sehe ich keine Menschenseele an meinem Strand.
Die spanischen Autobahnen sind nicht so mein Fall. Wo in Frankreich alle 15 Kilometer ein schöner Parkplatz kommt und alle 50 eine großzügige Raststätte, wird in Spanien nur angeschrieben bei welcher Ausfahrt man raus soll, um Dienstleistungen zu bekommen. Dafür ist die Strecke von Gijon nach A Coruna (ich weiß dass da irgendwelche weirden spanischen Krakel irgendwo auf die Worte müssen, aber ich suche die nicht wirklich jetzt raus …) landschaftlich der Hammer.
Als ich wirklich dringend meine Nase pudern muss (damit meine ich, dass ich wirklich dringend kacken musste) nehme ich schweren Herzens die nächste Ausfahrt und lande bei der Cooperativo … nennen wir sie mal „Cooperativo Villa Estrella“, einer Bauerkooperative im Niemandsland, die schon sehr cool ist. Der riesige Laden ist zu 50 % Baumarkt und zu 50 % Supermarkt. Das Klo ist sehr sauber, es gibt hier auch ungewöhnliche Sachen wie Riesennuckelflaschen für Kälbchen oder Sensen zu kaufen. Außerdem eine Automatentankstelle (drei Zapfsäulen) und eine riesige, nagelneue Stromtankstelle. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, für 19 € eine gefütterte Jäger*Innenweste mit dem Aufdruck „Cooperativo Villa Estrella“ erstehen, aber ich kann mich noch zurückhalten. Cool wäre die schon gewesen.
Zwei Stunden später parke ich Gaspard auf dem Parkplatz der offensichtlich großen und weitverzweigen Universität A Coruna. Mit Pegasus in die Innenstadt: 15 Minuten. Mein Versuch einen Ersatz-Kapuzenpulli mit Futter zu finden scheitert: Einziges Modell ist von Ralph Lauren und soll 299 Euro kosten. Abgesehen vom Preis will ich nicht aussehen, als treffe ich mich mit meinen Nazi-Freunden im Pony auf Sylt.
In A Coruna nehme ich alte Fährten wieder auf. Hier habe ich 2019 meinen Überführungstörn gestartet, im ersten Sabbatical. Schon damals fand ich die Stadt faszinierend, nicht nur, aber auch wegen ihrer großen Leidenschaft für Fenster. A Coruna ist groß, hässlich, funktioniert aber trotzdem. Ich radele die Seepromenade ab bis ich die Festung sehe, an der ich damals vorbei hinaus ins große Abenteuer gesegelt bin. Ich will nun rein, und sie ist ein Museum.
Am Eingangshäuschen steht auf Deutsch: Eintritt: 2,06 €.
Absurder wirds nicht mehr. In der sehr hübschen kleinen Renaissancefestung befindet sich das archäologische Museum der Präfektur und dies ist mein absoluter Museums-Supertip: Geht da rein. Zwar besteht die Sammlung aus sehr viel Zeug in Vitrinen mit spanischen Schildchen, aber für den Spottpreis so viel Funde von der Steinzeit bis ins 18. Jahrhundert zu sehen, ist einfach unschlagbar. Dazu lernt man am Ende doch eine ganze Menge über die Geschichte der Stadt und der Region, so dass ich sagen muss: Bisher das beste Museum. Und alleine die Festungsanlage wäre den doppelten Eintritt wert.
Die Rückfahrt aus der Innenstadt ist mal wieder die Hölle und beweist einmal mehr, dass sechs und achtspurige Trassen das Problem mit den Autos nicht lösen. Bis ich Gaspard vor der Uni sehe, ist mir ungelogen übel von den Abgasen. Aber wer braucht Realitätsbeweise, wenn Volker Wissing eine Weltanschauung hat.
Abends parke ich am Ende der Welt.
Hier ist viel los, weil danach nix mehr kommt. Weil man von diesem Spot nach Westen blicken kann, wo lange außer Wasser wenig stattfindet, hat man da vor einigen Jahren ein großes Steintor errichtet. So ein bisschen wie auf Naxos und deshalb ist hier allabendlich großer Zirkus. Wohnmobile batteln sich um die Frontrow: Windschutzscheibe Richtung Wasser! Ich parke natürlich als Zeichen der Verachtung für die anderen mit dem Arsch zum Meer. Dafür ist um mich rum Platz. Alle möglichen Leute treffen mit dem Fahrrad oder dem Auto ein, um einen Schnappschuss der roten Sonne durch das Tor zu kriegen. Alle versuchen alle anderen nicht auf dem Bild zu haben. Joachim und Olivia bauen ein Regal. Rolf beschwert sich, dass er hier sein Grauwasser nirgendwo ablassen kann (fahr zurück nach Regensburg Rolf, ok?). Jugendliche knattern mit dem Moped hier hoch und schreien sich erregt Dinge zu. Mädchen haben sie keine dabei, so eine Überraschung.
Ein paar Schritte die Straße runter betreiben zwei gefühlte Abiturient*innen eine sehr sympathische Strandbar, eigentlich ist es eher so ein Foodtruck mit großer Sitzwiese. Da lasse ich mich erst mal nieder und genieße ein Bier. Danach ein wenig noch auf Pegasus den absolut fantastischen Küstenradweg entlang düsen. Hoffen, dass sich der Zirkus am Parkplatz legt, so dass ich mich auch legen kann.

Jetzt ist es 21:52 und alles ist super ruhig. 🙂
P.S.: Cidre ist ein völlig überschätzter Dünnmost. Hätte wohl mal besser damit rumgespritzt.



Ich mag Cidre…
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komisch, vom Handy aus kann ich hier einfach so kommentieren 😜
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Da wirst du ja auch von vorneherein komplett getrackt und kannst gar nix anonym schreiben. 🙂
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