Donnerstag, 24.10.2019
Es beginnt. Zwölf Uhr, die Reisetaschen sind gepackt und es ist höllenviel Scheiß. Drei Wochen Segeln ist fast so etwas wie Umzug. Morgen muss ich die beiden tonnenschweren Taschen von der Haustür 500 Meter bis zur S-Bahn schleppen, davor graut mir jetzt schon.
Ohnehin ist gerade das dominierende Gefühl bei mir die Sorge. Das ist tragisch, ich weiß, im Grunde sollte man sich auf 22 Tage auf See mit Vorfreude, hoffnungsvollen Erwartungen und abenteuerlustiger Sektlaune vorbereiten. Aber im Moment kann ich damit nicht dienen.

Dabei Sorge ich mich nicht einmal um Stürme, leckgeschlagene Mietyachten oder tyrannische, mir völlig unbekannte Mitsegler. Das gesamte „So ein Scheiß“ – Gefühl erstreckt sich von dem Moment, an dem ich aus der Haustür bin, bis zu dem Moment, wo die „Baltica“ lostuckert. Aber bis dahin:
- Hab ich an alles gedacht? Das letzt mal an Pfingsten hatte ich ausgerechnet die Segelhandschuhe vergessen, und musste mir dann am ersten Morgen in Athen neue kaufen. Na ja, jetzt hab ich halt „gscheite“, und weil ich keine Rechnung wollte, waren sie sogar 10 % billiger, ihr kleinkriminellen Griechen.
- War es eine gute Entscheidung, die Gummistiefel und die Hose vom Ölzeug zuhause zu lassen? Heißt das nicht unweigerlich, weil sie jetzt nicht dabei sind, wirft uns ein gehässiges Schicksal eine Kaltfront mit Sturmböen entgegen, so dass das Deck nur so mit Brechern geflutet wird und ich mit eiskalten Zehen und klammer Hose mir mein Ölzeug unten rum herbei sehne? Aber die Gummistiefel wiegen gefühlt 8 Kilo und mein Gepäck ist jetzt rippelrappelvoll. Punkt.
- Klappt das mit den Anschlüssen? Vor allem weil ich von Stuttgart nach Frankfurt wieder dummerweise die deutsche Bahn als Reiseelement zwischengeschaltet habe, die sich beim letzten Versuch als zuverlässige Problemmacherin für Reisende erwies. Warum tue ich so was schon wieder?
Vor allem: Sei wann ist Fliegen eigentlich so scheiße geworden?
Klimatechnisch ja ohnehin. Wenn ich diese blöden Flüge nicht relativ hirnlos bereits vor acht Wochen gebucht hätte, würde ich heute sagen: Fahr mit dem Zug, Achim. Für’s Gewissen und weil du ja Zeit hast und dann siehst du was von Frankreich und Spanien. Das heißt, sobald du aus dem Zuständigkeitsgebiet der Deutschen Bahn raus kommst, wird’s schön, siehe Punkt 3. Jetzt habe ich aber die Flüge eben schon bezahlt.
Früher, wenn man flog, gab man relativ viel Geld dafür aus und dann war alles klar und komfortabel. Heute ist diese Art zu reisen viel zu billig und ein Ärgernis. Sich durch den Tarifdschungel der Flugportale zu klicken, sich im Netz Tickets zu kaufen, sich online einzuchecken und endlose Daten in Masken einzugeben, ist in etwa so erfreulich wie sich ein totes Frettchen ans Knie zu nageln. Zuerst hatte mir das eine Billig-Portal eine ungewollte Reiserücktrittsversicherung untergeschoben (irgendwo auf der 12. Seite ein Kästchen mit Haken versteckt, das ich übersehen hatte), der ich zeitintensiv bei einer irisch-schweizerischen Versicherungsgesellschaft widersprechen musste. Wenn du eine Firma siehst, die ihre Hauptsitze in der Schweiz und Irland hat, weißt du, dass du nicht weit vom organisierten Verbrechen weg bist.
Dann ploppt heute bei der Deutschen Lufthansa (also auf ihrer wie üblich unübersichtlichen Homepage) die Meldung auf, mein Ticket sei ohne Reisegepäck, obwohl ich mir sicher bin, dass ich beim Billig-Flugportal extra auf das kleine Koffersymbol geachtet hatte. Ist natürlich jetzt nach 8 Wochen schwer nachzuvollziehen. Also Reisegepäck nachbuchen.
Insgesamt macht mich das unfroh. Es ist Scheiße für’s Klima und für den Kunden so angenehm, als müsse man die DSGVO für eine Grundschule umsetzen. Vielleicht fahre ich beim nächsten Mal mit dem Auto und buche mir für das Geld einfach 2-3 kleine Zimmer auf dem Weg? Dann müsste ich mir auch keine Gedanken um die Gummistiefel machen ….
Wäre aber genau so klimascheiße.

Sorry, lieber Leser, dieser Einstieg in den Text stammt eher von Grumpy Old Boy als vom entspannten Segelonkel. Ich gelobe Besserung. Und dass ich auf dieser Seite versuche, einigermaßen regelmäßig Reiseimpressionen festzuhalten. Dazu brauche ich aber Netz, und das gibt’s nur in den Häfen: A Coruna – Bayona – Cascais – Portimao oder Lagos – Madeira – Gran Canaria. Ich versuche Updates regelmäßig zu machen, kann aber sein, dass ich in buddhistische Seglerstarre verfalle und nur noch auf das Wasser starre und auf einem Strohhalm herumkaue.
Vielleicht gibt’s also demnächst was zu lesen über die Große Fahrt, vermutlich schon morgen Abend aus dem Hotel in A Coruna.
(Ja, ich weiß, das hat so ein blödes liegendes „S“ auf dem „n“, aber ich werde den Teufel tun, das jetzt irgendwie aus den Sonderzeichen heraus zu kramen).
Edit, 22:00: Um Kap Finisterre am Samstag bis zu 6 Beaufort und 3 Meter Welle. Habe die Ölzeughose doch noch reingequetscht. Sicher ist sicher.
Update 1: 25.10.2019, 9:35
Flughafen Frankfurt. Uffz – soweit hat alles geklappt – bei mir. Der Skipper schreibt, dass er Angst hat, den Flug zu verpassen, weil sein Zug Verspätung hat. Bei mir haben nur die Sitzplatzreservierungen nicht funktioniert („Guten Morgen sehr geehrte Damen und Herren, wir fahren heute eine andere Modellreihe des ICE, deshalb …) und in Mannheim gabs 8 Minuten Verspätung wegen … was auch immer. Für eine Bahnfahrt eine respektable Leistung.
Ich hasse Flughäfen.
Ich empfinde sie als sterilste Welt gleich nach dem Reinraum für Computerchips. Ich habe immer den Eindruck, ich wandele durch ein Level aus meinen Computerspielen: Alles sieht gleich aus und ist aus den immer selben Bausteinen zusammengefügt, viele spiegelnde Oberflächen, alle Menschen tun das selbe, so dass 6 Motion-Capturing-Sequenzen reichen um einen Flughafen glaubhaft mit NSCs zu füllen. Es ist eigentlich egal ob man in Frankfurt, Paris oder Nairobi sitzt, die Flughafenwelt ist immer gleich künstlich-sandgestrahlt. Auch die Geräusche – Durchsagen, Gemurmel, schreiende Kinder, elektrisch betriebene Golfkarren – sind überall gleich. Der Flughafen ist der globalisierte Tempel der Normierung, Mittelmäßigkeit mit Mamorboden, entindividualisiertes Reisen als Massenbetrieb. Ich bin froh, wenn der Vogel abhebt.
Dazuhin wurde ich beim Security-Check ganz besonders widerlich kontrolliert. Obwohl ich mich für völlig unverdächtig halte und meine Handgepäck-Abgabe völlig flüssig lief, bin ich noch nie von einem Security-Guy dermaßen intensiv befummelt worden. Der Typ war alt und fett, erinnerte an einen orientalischen Potentaten aus einem alten Karl-May-Film und hatte ein gesteigertes Interesse an meiner Unterhose. Außerdem konnte er nicht sprechen sondern nur gestikulieren. Mittlerweile habe ich den Eindruck, einem Perversen zum Opfer gefallen zu sein und habe mir auf dem Klo erstmal gründlich die Hände gewaschen. Eventuell ist die Flughafen-Security so was wie die katholische Kirche der Sicherheitsbranche. Wurx.
Noch ein Grund nicht so häufig zu fliegen.
Aber jetzt gehts erst mal in 20 Minuten in den Flieger. Sobald ich auf meinem Platz hocke und der Vogel startet wird die Lage entspannter. Dann muss ich nur noch rausfinden, wo man a.) in Santiago de Compostella eine große Tasche einschließen kann, b.) wo diese fette Kirche ist, c.) wo der Bahnhof ist, von dem ich Abends weiterfahre. Eventuell lassen sich a,) und c.) verknüpfen.
Wow, ich gehe mir eine Pilgerkirche anssehen – wär hätte das gedacht. Eventuell kann ich da ja stellvertretend für den Scheich vom Frankfurter Security-Band mal sein Problem beichten.
Soviel zum Link zwischen Katholizismus und Unterhose für den Moment.
P.S.: Wow, ich blogge mit einem Laptop vom Flughafen. Der Sascha Lobo vom Lehrerklo …
Update 2, 25.10.2019 16:45, Santiago de Compostella

Ich bin dann mal weg – na hier ganz sicher nicht. Santiago ist eine Welt für sich, aber unter Garantie ist man hier nicht alleine oder weg von irgendwas. Der Platz vor der Kathedrale hat definitiv etwas Erhabenes, es ist strahlender Sonnenschein und bei aller Dominanz von schwerem Stein ergibt sich etwas Luftiges, nahezu Metaphysisches im Ensemble. Contrapunkt sind die Heere von Menschen, die den Platz mit – na nennen wirs mal wertneutral „Leben“ füllen. Neben vielen ganz üblichen Touris sind das auch noch im Oktober höllisch viele Pilger.
Der Schnellbus vom Flughafen führt eine zeitlang offensichtlich an der Haupt-Pilger-Einfallroute entlang und in letzter Zeit schreibe ich ja häufiger über einfallende Armeen. Tatsächlich hat das Geschehen auf dem Gehweg etwas vom Einlauf eines Halbmarathons, zwar viel langsamer, aber genau so dicht gedrängt. Man erkennt die Pilger leicht. Sie sind bonbonfarben, was vor allem an der nicht zu brechenden Vorliebe der Käufer*Innen von Outdoor-Jacken für kräftige Farben liegt. Unten rum darfs beim Pilgern militärisch sein – khakifarbene, graue oder beige Hosen mit aufgesetzten Munitionstaschen – aber der Oberkörper muss definitiv farblich knallen. Dazu gehören im oberen Pilgersegment zwei Skistöcke, und ja, ich weiß was jetzt viele Insider sagen werden, das seien „Wanderstöcke“, aber sorry Leute, ich fahre Ski seit ich sechs bin, und ich erkenne einen Skistock wenn ich einen sehe, auch als Teleskopstock.
Eine liebe Freundin von mir hat das Pilgern auch vor einiger Zeit angefangen. Ich versuche sie mir in knalliger Mammoth-Jack Wolfskin-Vaude-Northface-Jacke und Skistöcken vorzustellen, scheitere aber bei dem Versuch.
Diese kinderkreidenbunte Gesellschaft läuft im Moment, während ich an der sonnengewärmten Wand der Kathedrale lehnend schreibe, laut juchzend und unter Applaus der Vorpilgernden auf dem Platz ein. Ich freue mich auf den Tag, an dem die Menschheit wieder zum guten alten „Hurra“ übergeht, auch ein zackiges „Vivat!“ oder ein „Jippie!“ ist allemal besser als dieses cartoonhafte, immer leicht ironisch klingende „Wuhuhuhuuuu!“ Auch auf Konzerten immer ein echtes Scheißgeräusch.

Auf dem Platz hat jemand den Bass abgeklemmt und die Hochtöner völlig überdreht. In der Unterführung links von der Kathedrale spielt ein Dudelsackspieler galizische Volksweisen im Hochfrequenzbereich und zwar konsequent in 16teln und 32steln. Auf der anderen Seite hat sich eine pilgernde Schulklasse (?), maximal Klassenstufe 7, dünne Plastiktröten im Großhandelspack gekauft und erzeugt damit eine Musik, die ich nur als „höllisch“ bezeichnen kann. Der arme heilige Jakob muss wohl im Moment seine gesamte göttliche Kraft einsetzen, damit sich unter den minderjährigen Geräuschterroristen nicht der Erdboden öffnet und sie vom ewigen Höllenfeuer als willkommene Zugabe an Qual für die Insassen integriert werden, was ehrlicherweise das beste wäre, was die Hölle je getan hätte. Dazwischen wuhuhuhut es gelegentlich hier.
In der engeren Peripherie tummeln sich Touribüdchen in allen Formen, Heiligenstatuen und Muscheln sind in jeder Größe und aus jedem Material zu erstehen. Weil es hier so furchtbar laut ist, müssen sich Touris und Pilger anschreien um zu kommunizieren. 20 Meter weiter von mir hockt im Schneidersitz eine Instagrammerin vor ihrem Kameramann und schreit irgend etwas in die Linse, man kann ihrem Gesichtsausdruck entnehmen, dass alles ganz fantastisch und supertoll ist. Ein Tieflader manövriert einen kleinen Bagger über den Platz und hupt gelegentlich vor religiöser Entrückung blind gewordene bunte Pilger aus seinem Weg. Irgendwie rechnet man damit, dass Hieronymus Bosch das Ganze in Wirklichkeit nur gemalt hat und man in einem rauschartigen Gemälde sitzt..
Trotzdem irgendwie ein schöner Ort. Zu viele Menschen.
Aber schön hier in der Sonne.
Leider wird die Kathedrale von innen großflächig renoviert, so dass die meisten Gemälde und Statuen von Gerüsten und Abdeckplanen verdeckt sind. Mein Tipp: in drei Jahren hier her gehen, an einem kalten und verregneten Januartag.
17.05: Der Vatikan hat gemerkt, dass der Bass weg ist und hat den genretypischen Didgeridoo-Spieler aufgeweckt. Der sitzt jetzt an der Ecke und produziert tiefe Brummschwingungen in das Chaos. Aus anderen Städten längst als unerträgliches Klischee verbannt, bekommt er hier sein Gnadenbrot im Geiste der frommen Barmherzigkeit. Auch gut, um 19:30 macht die Gepäckaufgabe zu, dann muss ich wieder am Bahnhof sein und die Tonnage nach A Coruna schaffen. Und dann Hotel und eine Cerveza. Muss da noch ein Dächlein auf einen Buchstaben?
17:42 – Jetzt hat doch noch eine Pilgergruppe der Welt gezeigt, wie es besser geht. Die zogen nämlich laut auf Französisch singend auf dem Platz ein. Sogar die Höllenkinder waren währenddessen kurz still. Niemand hat wuhuhut.
Und ja: es war ein kleines bisschen ergreifend.
Update 3, 18:30, A Coruna

Zwischen der Kirche des heiligen Jakob und einer Yacht-Marina liegt ein kleiner Kulturschock. Atmosphäre und Grundthema könnten nicht anders sein. Aber man kann sich in A Coruna ganz gut verlieben.
Die große Hafenstadt verfügt über eine riesige Uferpromenade, gesäumt von diesen hohen Gebäuden mit weiß verglasten Balkonen, die hier regiontypisch zu sein scheinen. A Coruna ist groß, aber nicht riesig; In der Innenstadt findet man zahlreiche Cafes, Restaurants und Läden, das Ganze ist aber nicht so touristisch wie andere spanische Großstädte. Die Nordregion Spaniens scheint einigermaßen wohlhabend zu sein.
Erstaunlicherweise ist man hier ohne Spanisch im Gepäck einigermaßen aufgeschmissen. Während man in Griechenland jeden Hafenjungen auf Englisch anquatschen kann, und dabei eine zwar ein wenig schrullige aber gut verständliche Version der Fremdsprache zurück bekommt, ist hier das höchste der Gefühle „a little“ auf die Frage „Do you speak English?“ Dafür scheint Halloween hoch im Kurs zu stehen, etwa jedes zweite Schaufenster ist mit Kürbissen, Totenköpfen und künstlichen Spinnenweben verziert. Eventuell ist im katholischen Raum der mexikanische „Dias de los Muertos“ geeignet, die Leute hier für die etwas weniger ernsthaften Feiertage zu gewinnen. In Deutschland muss ja Feiertag und Fest immer mit nationaler Größe oder religiöser Bedeutung gefüllt werden.

So eine Hochseeyacht ist schon etwas anderes als die Mittelmeerboote, mit denen ich bisher unterwegs war. Zunächst mal ist die „Baltica“ ein sehr schönes Schiff, mit 51 Fuß geräumig und mit jeder Menge Stauraum. Das erste Mal habe ich den gesamten Inhalt meiner Taschen in Schapps und Klappen verstauen können und habe eine Kabine für mich alleine. Luxus. Zum zweiten ist das Boot gefühlt mit mehr Sicherheitsausrüstung und Seefahrtsvorschriftskram gefüllt, alleine drei Werkzeugkästen bieten Ausrüstung für alles mögliche.
Heute Abend ist die Crew dann zunächst komplett, ich bin für dieses Mal zum Zahlmeister ernannt worden und führe Bordkasse. Auch gut. Außerdem bin ich „Wachführer“, also Verantwortlicher auf Doppelwache, die wir bei Tag im Vierstunden-, bei Nacht im Dreistundenrhythmus führen. Ich bin gespannt.
Schapps, Kisten und Bilge sind mit Vorräten wohl gefüllt, ca. 80 Dosen Bier sind an Bord, zwei Kühlschränke sind gepackt bis an den Rand – alles bereit zur großen Fahrt.
Morgen gehts los nach Osten, bis Kap Finisterre kommt der Wind seitlich, ab da bis Lissabon bekommen wir ihn wahrscheinlich direkt auf die Nase und müssen vermutlich motoren – mal schauen wie es draußen wirklich wird.
Ich hab echt Lust auf Meer …
Update 4, 27.10., Muxia, Finisterra
Was für ein Tag auf See. Hier gehts definitv anders zu als vor Griechenland.
Um die Ka(o)tze aus dem Sack zu lassen: Ich kann mir heute die selbstgebastelte „Seemannsmagen-Medaillie“ von der Brust nehmen. 11 Törns ohne Magenprobleme absolviert, die Welle im Rückzugsgebiet von Ex-Hurrican „Pablo“ killt diesen Rekord. Ja, ich gebe ohne Umschweife zu: Ich habe einen Becher halbverbauter 5-Minuten-Terrine in einen schwarzen Gummieimer gekotzt, danach gings besser. Zu meiner Ehrenrettung – ach was, da gibts keine Ehre mehr zu retten.
Ich sag nur: Geht nicht zu lange unter Deck.
Dabei war heute nichts mit Segeln. Der Wind war erst zu schwach, kam dann von fast direkt vorne. 50 Seemeilen motort. Dass wir nun in Muxia fest liegen, liegt auch nur daran, dass ein Mitsegler den Törn abbricht und dringend von Bord will.
Mir gings nach dem Kotzen wieder super.
Zu den Freuden des Tages: Den ganzen Nachmittag waren Delfine zu beobachten. Zuerst in der Ferne, dann sicher eine halbe Stunde ganz nah um unseren Kahn herum. Wenn man Delfine sieht, dann löst das etwas anderes in dir aus, als wenn du ein Reh oder ein Eichhörnchen beobachtest. Von den eleganten grauen Schwimmern, unseren vielleicht intelligentesten Mitbewohnern, geht eine Faszination aus, die fast bei jedem ähnlichen Laute entlockt, wie bei Menschen, die ein Feuerwerk beobachten. Kraftvolle Sprünge aus dem Wasser, pfeilschnelles, müheloses Mitflitzen mit dem Boot und eine deutlich festzustellende Neugier an der Umgebung. Tolle Tiere.
Die Küste Nordspaniens ist darüber hinaus der Hammer – wild, zerklüftet, hoch und gischtumnebelt. Im Abendsonnenschein ein Anblick wie aus einem romantischen Gemälde.
Morgen geht es dann los mit 48 Stunden in Wachschichten. Der nächste Halt ist Portugal.

Update 5: 28.07.2019, Muxia
Stimmt aber gar nicht.
Nautik ist eine nasse Angelegenheit. Von oben und von unten, das liegt in der Natur der Sache.
Die ganze Nacht hat es gewindet und geregnet. Das Deck ist nass, der Steg ist nass, meine Hosenbeine sind nass, in der Hafendusche steht das Wasser und der Duschendampf, Wasser ist das dominierende Element des Tages.
Wir bleiben heute liegen.
Draußen sind es drei Meter Welle und 20 Knoten Wind. Und leider von vorne. Das heißt, wenn wir dagegen andampfen, brauchen wir ewig, weil uns die Gegenbewegung immer wieder für drei Schritte nach vorne zwei Schritte nach hinten drückt. Es wäre eine ewige Quälerei, die sinnlos Diesel verbrät und die uns garantiert keinen Spaß machen würde. Unserem Studenten ist immer noch flau, damit wären wir vier einsatzfähige Leute an Bord. Nicht sinnvoll.
Also gammeln wir einen Tag in Muxia. Schöner, gut geschützter Hafen, kleines Städtchen, nicht viel los. Die örtliche Tankstelle ist gleichzeitig die Hafenmeisterei, es gibt einen Supermarkt und ein leckeres Restaurant.
Ich sitze in der Tankstelle unter dem W-Lan-Router, ärgere mich über die Wahl in Thüringen und frage mich, wie ich den Tag durchkriege. Mit der Pause fällt der geplante Tag Lissabon vom Zeitplan her ins Wasser, aber unter den gegebenen Umständen ist das die vernünftigste Entscheidung.
Ein französischer Skipper lädt mich auf einen Kaffee ein und wir versuchen ein wenig zu plaudern. Aber mein schwaches Französisch scheitert an seinem harten südfranzösischem Akzent, wenigstens bekomme ich mit, dass er nach einem Jahr auf Reise gerade zurück auf dem Weg nach Frankreich ist. Und dass er der Meinung ist, morgen wäre es draußen genau so ungünstig wie heute.
Ein Tag am offiziellen Ende der Welt.
Update 5, Porto, 13.45

Die Welt ist sehr nass.
Im ersten Teil des Beitrages habe ich prophezeit, dass ich die Gummistiefel reichlich vermissen werde. Wie so oft hätte ich mehr auf mich hören sollen. Das Wasser kam die ganze Nacht von oben, gegen morgen wie aus Kübeln, Starkregen für mehrere Stunden. Mein Ölzeug hat seine Taufe gut bestanden, aber das Zeug lief mir in den Kragen, über die Hände in die Ärmel und vor allem in die Schuhe. Dabei waren Wind und Welle durchaus erträglich (Halt direkt von vorn), aber die Fahrt war trotzdem wenig angenehm.
Jetzt hängt das ganze Schiff voller dampfender Klamotten.
Bei Nacht ist das Meer kohlrabenschwarz und man segelt in einen finsteren Schlund, immer angestrengt nach Lichtern Ausschau haltend. Gearbeitet haben wir in Schichten von 3 Stunden Wache und 3 Stunden Schlaf. Das ging einigermaßen, mir sind die Augen kaum zugefallen. Zum Glück gibts im Jahr 2019 elektronische Helferchen, die die meisten anderen Schiffe in der Dunkelheit schon Meilen vorraus anzeigen, vor 20 Jahren muss eine Nachtfahrt noch ganz anders Herausforderungen gestellt haben.
Ach ja, und Delphine, habe ich die Delphine erwähnt? Sie sind mittlerweile regelmäßige Begleiter geworden und scheinen unser Schiff zu mögen. Also: Delphine auf diesem Schlag – check, done, next. Und der Seemannsmagen war auch wieder zurück.
Am Freitag müssen wir gegen Nachmittag in Lissabon sein, deshalb geht’s morgen bei Sonnenaufgang wieder los. Von der zweitgrößten Stadt Portugals mit seiner Altstadt und seinen Portweinkellern sehen wir also nur wenig und hier gibts die witzigste und freundlichste Hafenmeisterin der Welt. Dafür ist uns dann ein Tag in Lissabon vergönnt.
Bei hoffentlich besserem Wetter
Update 6, Cascais, 31.10.2019, 14.45

Das Leben ist fies – aber für dieses Mal nicht zu mir.
Während unser Skipper Hinrich all morgentlich die Nachtfrostwerte in Norddeutschland verkündet, sitze ich in Cascais in T-Shirt und Flipflopps und trinke am hellen Nachmittag eine Halbe an der Bar. Im Moment bekomme ich das Grinsen mal wieder nicht aus dem Gesicht, wenn ich daran denke, was für ein dumpfdreister Glückspilz ich bin.
Na ja: Das Bier ist Heineken. OK.
Aber perfekt ist ein Zustand, an dem man nichts mehr verändern muss und damit das Ende jeder Ambition im Leben, also quasi manifestierte Langeweile.
Apropos: So eine Nachtfahrt ist gar nicht mal so spannend. Zumindest wenn nichts los ist und alles von mehr oder weniger dicker Nebel-Suppe verdeckt wird. 27 Stunden sind wir von Porto bis Cascais gefahren, einem Vorort von Lissabon am Meer. Außer ein bisschen Segel justieren war nicht viel zu tun. Auch der Wind hatte Langeweile und war nicht in Gang zu kriegen, zumindest nicht so, um die 6 Knoten zu laufen, die wir brauchen, damit Hans-Peter seinen Flieger von Lissabon bekommt. Der Motor lief die meiste Zeit und entsprechend hoch war die Diesel-Rechnung. Wir verdächtigen bereits die Vorgänger-Crew nicht ganz vollgetankt zu haben.
Mehr Segeln wäre schön gewesen, aber dafür war das Meer relativ ruhig und wir mussten auch nicht mehr gegen Wind und Welle anbolzen wie zuvor. Das macht es entspannter. Bis jetzt stecke ich Nachts den Rhythmus ganz gut weg: drei Stunden Wache, drei Stunden Koje. Meistens penne ich sehr schnell wieder ein und stehe dadurch die dunklen Nachtwachen einigermaßen durch, auch wenn mir gegen Morgen ab und zu mal die Augen schwer wurden. Leider war nix mit spektakulärem Sonnenaufgang, der zähe Dunst ließ nur ein langsames Morgengrauen zu.
Ich habe großen Respekt vor den Seefahrern vergangener Zeiten. Bei uns ist alles mit einem Click zu machen, Satelitennavigation, Radar bis zu 24 Seemeilen, One-Touch-Navigation, sehr genauer Autopilot. Die vielen elektronischen Helferchen an Bord machen das Navigieren komfortabel. Auf einer alten portugiesischen Nao muss das eine ganz andere Sache gewesen sein.

Unser letzter Startpunkt Porto ist nebenbei ein kleiner Geheimtipp. Die zweitgrößte Stadt Portugals, Namensgeberin des berühmten Portweins, liegt an einem Flusslauf des Meeres und zieht sich ein steiles Flusstal hoch. Links und rechts liegen alte Kais, an denen früher der Handel blühte. Eine spektakuläre Eisenbahnbrücke von niemand geringerem als Gustav Eifel verbindet die beiden Seiten, unten für Fußgänger und Autos, hoch oben für Züge. Auch eine Gondel führt über den Fluss, ein bisschen wirkt Porto bei Nacht wie ein Streampunk-Setting. An den alten Kais tobt Abends das Leben, eigentlich würde ich da gerne noch mal in Ruhe hin.
Jetzt ist erst einmal ein wenig Landgang angesagt, bevor wir den langen Schlag nach Madeira wagen. Das sind dann etwa vier Tage zu viert. Länger war ich noch nie auf dem Wasser unterwegs. Morgen dann fast den ganzen Tag Lissabon, eventuell jeder für sich, tut auch mal gut.
Ach ja: Delphine, Delphine, Delphine. Hinrich behauptet sogar mal etwas in Richtung Schweinswal gesehen zu haben. Ich glaube ab jetzt finde ich Tage ohne zwei bis drei Delphinschulen zum Zukucken etwas enttäuschend.
Alles in allem scheint mir also die Sonne aus dem Arsch. Ja, hasst mich ruhig dafür.

Das würde ich ja auch tun. Und nehmt euch unbedingt einjahrraus, wenn ihr irgendwie könnt.
Update 7, Lissabon, 2.11.2019

Was soll ich über Lissabon schreiben? Wahnsinnig, wunderschön, quirlig, hip, cool, touristenverseucht, geschichtschwanger, maritim, klerikal, kulinarisch, bergig … und tausend andere Sachen, die ich heute versäumt habe.
Losgezogen bin ich gegen 11.00, alleine, weil die restliche Crew vom vorherigen Abend noch etwas ausgebremst war und unser Skipper Hinrich lieber an Bord blieb. Cascais war voller Engländer, die sich um Bildschirme drängen, die das Rugby-Meisterschaft Endspiel übertragen (England vs. Südafrika). Man erkennt sie schnell, die meisten sehen aus wie kleine Schweinchen in grün-weiß gestreiften Trikots, nur nicht wie diese süße Art Schweine. Man muss ihnen zugestehen, dass sie mit jedem Spielzug ziemlich mitfiebern.
Es gewinnt Südafrika.
Von Cascais bis Lissabon fährt eine hervorragende S-Bahnlinie, ca. 40 Minuten von Endbahnhof zu Endbahnhof. Die Züge fahren pünktlich und sind günstig, die Linie führt immer an der Küste entlang und offenbart spannende Blicke auf Meer und Stadtlandschaft. Man merkt auf dieser Linie, dass Lissabon eine uralte Handels- und Industriestadt ist, der Charme der verfallenden Anlagen fängt mich sofort ein. Ich gehe bei Sonnenschein los und komme im strömenden Regen an. Von allen Balkonen tropft Wasser auf die gepflasterten Straßen und zwar in diesen ekelhaft großen Tropfen, die unangenehmer sind, als durchgehender Regen.
Vor dem modernen Bahnhof steht eine dieser berühmten alten Trams und wirbt um Touris für geführte Touren, Ich gehe zu Fuß los, drifte durch die Gassen, verliere irgendwann den Strom der Besucher und lande in einem kleinen Park, in dem Papageien um einen viktorianischen Kiosk Nüsse knacken. Ich glaube, es handelt sich um die selben grünen Sittiche, die auch in Stuttgart eine Kolonie gegründet haben.
Lissabon ist steil. Ich schaue mir eine random Kirche an, die wirklich beeindruckend ist, finde gruslige Bronzedenkmäler und lande schließlich in einem Viertel, das in etwa einem portugiesischen Kreuzberg entspricht, wo ich Spaghetti-Pesto und ein Glas Weißwein genieße.
Spätestens jetzt bin ich in Lissabon verliebt.
Gegen später stolpere ich ins nationale Militärmuseum Portugals, gelegen direkt vor den riesigen Kreuzfahrtschiffen am Kai, dessen Besuch umsonst ist. Es besteht zu 95 % aus Kanonenläufen zwischen 1450 und 1900. Ich stelle fest, dass ich Kanonenläufe spannend finde, nicht nur, weil ich mich ständig mit Geschossen auseinandersetze, sondern weil auf alten Kanonen Schriftzüge, Wappen und Verzierungen zu entdecken sind. „This piece was made by Thomas Bancroft of Birmingham.“ Der Nächste Lauf ist kurz und mit japanischen Zeichen bedeckt, der übernächste riesig und voller arabischer Sprüche. Die Eisenrohre stehen im Inneren rostsicher, im Hof stehen die Bronzegeschütze, die witterungsbeständig sind. Nach einer Stunde Kanonen gehe ich Kaffeetrinken, versuche (erfolglos) mit der wahnsinnig sympathischen Kelnerin zu flirten, gerate Richtung Castello.
Auf dem Balkon eines besetzten Hauses stehen zwei Typen mit E-Gitarre und Akkordeon und produzieren Gipsy-Swing für die Touri-Ströme. Über den leeren Fensterhöhlen steht „Fuck Capitalism“, am Balkongitter hängt ein buntes Körbchen für milde Gaben. Aber der Gipsy-Swing ist astrein. Vor dem Castello sieht es aus wie vor dem Tokapi-Palast in Instanbul oder den Uffizien in Florenz, lange Schlangen von Menschen, kein Bock zum Anstehen.
Es dämmert bereits als ich die berühmte Kathedrale von Lissabon besuche. am Eingang hängt ein riesiges, viersprachiges Schild, das um Ruhe an einem heiligen Ort bittet. Innendrin geht es zu wie auf einem Landfrauentag in der Spargelstube. Alles schnattert aufgeregt in höchsten Tönen. Man kommt kaum durch.
Drei Versuche scheitern kläglich:
- Einen Barbier zu finden der mir, die Wolle aus dem Gesicht schabt. Alle die ich finde, haben keinen Termin.
- Brot kaufen für die Überfahrt. Eine Landeshauptstadt ohne Bäcker.
- Mich gegen Abend mit der restlichen Crew zusammen zu telefonieren, denn mein Smartphone macht nach einem Tag Google-Navigation schlapp.
Also sitze ich am Ende in einer portugiesischen Sportsbar, trinke zwei Halbe und lasse den Datenknecht laden, und stelle fest, dass alle hier Franzosen sind, inklusive der mit einem Portugal-Trikot bekleideten Kellnerin, die darunter nicht viel mehr trägt. Der Chef ist ein absoluter Schmierlappen, der seine Kellner hetzt, mit Stammgästen plaudert, gelegentlich das Programm eines der sieben Smart-TVs mit einer Fernsteuerung von der Größe eines Baguettes ändert und ein gigantisches Goldkreuz um den Hals trägt, für das ein portugiesischer Conquistador locker drei südamerikanische Hochkulturen vernichten würde.
Ich liebe Lissabon. Die Sportsbar „Spot Lissboa“ könnt ihr aber getrost auslassen.
Jetzt sitze ich leicht angesoffen im Salon, die Crew plaudert über Bundeswehr-Manöver und ich sehe vier bis fünf Tagen Atlantik entgegen. Kein Stop, kein Netz, kein Scheiß, Wachen, Essen und Meer. Ich kanns kaum erwarten.
Heute keine Delphine. Hässliche Engländer und schmierige Exilfranzosen ersetzen das nicht im Ansatz.
Update 8, Funcal, 07.11.2019
Der Atlantik ist gewaltig.

Es war keine harte Überfahrt. Nachdem wir am Sonntag zunächst vor einem richtig üblen Sturmausläufer Richtung Süden davonliefen, der sich über der Biscaya eingerichtet hatte, bekamen wir bald eine ganze Palette an Bedingungen: Lange, hohe Fünfmeterwellen, kleine, kabbelige Kreuzseen, ruhige, flache Wellen; Wolkenverhangene Himmel mit kleinen Nieselschauern, hohe Wolkentürme mit Sonnenlöchern, klare, strahlende Himmel; Mondaufgänge, Monduntergänge, bombastische Sternenzelte über dem Mast und Wolkendecken; majestätische Sonnenuntergänge, klägliches Verdämmern von Tagen und flammend-rosane Wolkenfeuerwerke am Morgen.
Wasser und Himmel. Thats it.
Ziemlich bald bläst uns ein gleichmäßiger Nordwind mit 15-25 Knoten perfekt nach Südwesten. Der Motor wird nur noch zum Batterienladen angeworfen. Tagesabläufe gleichen sich. Regelmäßige Wachen an Deck nachts, meine von 00.00 – 2.00 und von 06.00 – 8.00. Glück: ich sehe den Mond sinken und die Sonne auferstehen. Alle 15 Minuten checke ich Windrichtung, Geschwindiigkeit, Radar und AIS, das automatische Schiffsidentifizierungssystem.
Abwechslung ist selten. Frachter und Fischer passieren uns, immer im sicheren Abstand. Ein gewaltiger Supertanker gibt uns einmal Lichtzeichen, dass er nicht ausweichen kann, also weichen wir aus; Ein Kreuzfahrtschiff überholt uns nachts, hellbeleuchtet wirkt es wie eine viktorianische Vergnügungspier, die sich losgerissen hat. Da drinnen sitzen jetzt alte Menschen in Themenrestaurants.
Abgefahren.
Wir schmieren regelmäßig Stullen und erwärmen Dosen. Morgens, nach meiner letzten Wache, mache ich Gemüsebrühe für den Skipper und mich. Gespräche ersterben. Ich schlafe viel. Auch bei stärkstem Seegang mache ich unter Deck alles: Kochen, umziehen, kacken, in Kästen kramen, pennen, Schwimmweste und Ölzeug anlegen. Schlecht wird mir keine Spur mehr, meine Welt schwankt, das ist das Normalste hier.
Der Atlantik ist gigantisch. 5 Tage sind genug.
Als die Inseln nachts auftauchen, mit Lichtpunkten übersäht, empfinde ich das als Erlösung. Wieder habe ich das Gefühl, die Seefahrer früherer Zeiten ein wenig besser nachvollziehen zu können. Land!
Nun sitze ich auf Madeira in einem hippen Cafe in Funchal. Krasser Kulturschock. Habe ich erwähnt, dass ich fünf Tage und Nächte nicht geduscht habe (wie alle)? Die erste Dusche, das erste Shampoo im Haar ist pures Glück. Um mich herum: Lauter Rentner. Und Sommer, während mich aus Deutschland düstere Nachrichten und frostige Wettermeldungen erreichen.
Noch bis Sonntag liegen wir hier und bekommen vier neue Mitsegler*innen. Ab jetzt wird es voll auf der Baltica. Morgen erkundige ich erst einmal Madeira.
Update 9, Funcal, 09.11.2019

Gestern ein ganzer Tag Madeira – noch einmal ganz alleine, nachdem ich zuvor vier Tage ununterbrochen Schiff hatte und wir ab heute zu acht auf der Baltica segeln werden.
Beim abendlichen Landgang mit gepflegtem Besäufnis treffen wir in einer Cocktailbar eine Gruppe sehr netter Münchner*innen, die uns definitive Empfehlungen für eine Madeiratour mitgeben: Nimm ein Auto mit kräftigem Motor, fahr weg von Funchal und der Küste und fahre ins Inselinnere.
Sie hatten völlig Recht.
Die von mir am nächsten morgen gemietete Rennsemmel, ein Smart mit viel Motor, hätte kaum größer sein dürfen für diese Sträßchen und braucht auch jedes PS. Madeira ist ein im Meer versenktes Gebirge (nicht ganz korrekt, aber als Bild nützlich). Von der Küste geht es steil bergauf bis auf 1800 Meter. Und jeder Meter ist anders. Und überraschend. Und großartig.
Madeira ist nicht eine Insel, sondern 15.
Im Laufe einer halben Stunde Autofahrt durchquert man zahlreiche Klima- und Vegetationszonen. Von Tropen bis Nordeuropa scheint alles dabei. Die Landschaft ist in ihrer Steilheit bombastisch. Madeira ist zu dramatisch, um sich wirklich zu verlieben, aber dramatisch genug, um mich mit Begeisterung und kindlichem Staunen zu erfüllen. Der Norden ist anders als der Süden. Oben ist anders als unten. Alles ist in ständigem Wandel. Heißer Sonnenschein, eisige Winde, nebelverhangene Wälder, sturmumtoste Klippen, verregnete Heiden.
Es gibt auch Schattenseiten. Abseits des hippen und reichen Zentrums Funchal sind die Dörfchen trostlos. Viele Häuser wirken leer, viele Ruinen liegen direkt an der Dorfstraße. Alte Menschen, die so ärmlich gekleidet sind, dass mir das im Deutschen nur noch selten gebrauchte Wort „Lumpen“ in den Sinn kommt, humpeln mit einem Stock die Landstraßen entlang. Junge Leute sieht man selten.
Immer, wenn ich so etwas sehe, wird mir die Arroganz bewusst, mit der viele Deutsche über ihre Opferrolle als Geldgeber der Europäischen Union lamentieren. Angesichts solcher verarmter Dörfer sollte uns nur Dankbarkeit über unseren eigenen fetten Wohlstand erfüllen und die Bereitschaft, zu helfen.
Point made.
Nun genieße ich wieder besagten fetten Wohlstand und trinke Tee (Ich! Tee!) im Teespezialitätencafe in Funchal und genieße frisch gepressten Orangensaft zu Spottpreisen – im Verhältnis zur BRD. Man bleibt halt immer ein wenig Heuchler.
Morgen gehts raus nach Lanzarote. 48 Stunden nonstop.
Lächerlich.
Update 10, 12.11., 15:58, Lanzarote (Baya Blanca)
„Lächerlich.“ My Ass.
Offensichtlich liest der inzwischen an Bord viel zitierte Rasmus mit und war mehr als bereit, den leicht überheblichen Hobby-Segler eines Besseren zu belehren. Um es kurz zu machen: Die Überfahrt war ein harter Brocken. Wirklich hart. Das härteste, was ich bisher gesegelt bin.
Von Madeira nach Lanzarote in 5 Szenen.
Szene 1: „Clean? No more Hair?“
Der Vorteil an der südländischen Barbiertradition ist dreierlei: Zum einen rasieren sie sehr viel sorgfältiger und eleganter, als ich es zuhause mit meinem Braun könnte; Zum anderen spart mir der Besuch eines solchen die Pflicht, den Rasierer auch noch irgendwo hinein zu stopfen und herum zu schleppen. Zum dritten kann man das Erlebnis eines Barbier-Salons jedem Mitteleuropäer nur ans Herz legen.
Sie sind schon äußerlich nicht mit den Friseurläden für Damen zu verwechseln. Altersdunkel, die Bestuhlung eher an einen Zahnarzt wie an einen Haarschnippler erinnernd, werden sie vor allem von Männern umlagert. Sie scheinen so etwas wie ein Hauptquartier für einen bestimmten Typ Madeirer darzustellen: Klein, drahtig, mit tätowierten Armen und extrem gepflegten Bart.
Man wird erst einmal beäugt. Natürlich. Die Rasur kriegt man dann aber trotzdem. Der Barbiere ist definitiv ein Könner, mit einem Blick scannt er deine Gesichtsfältchen, deine Hautunreinheiten und deine Konturen. Dein Gesicht ist für ihn nur ein Garten, den er mäht und pflegt. Bei mir ist es Arbeit und Abriss. Zunächst muss der grobe Langhaarcutter ran, dann ein feinerer Elektrorasierer, um meine drei Wochen alte Fusselwolle aus dem Gesicht zu schaben. Die Borsten fliegen nur so.
Dann kommt die Krönung: Rasiercreme gefolgt vom Rasiermesser. Aus den Boxen läuft portugiesische Volksmusik, wovon sie singt, das weißt du nicht, aber du ahnst: Du bist im Zentrum der madeirischen Mafia angekommen. Und hier lässt du dir nun ein rasiermesserscharfes … ähm … Rasiermesser an den Hals setzen.
Der Nervenkitzel ist im Preis mit inbegriffen. Du weißt, wenn du zwischen diesen knallharten Kerlen zuckst, grinst oder dumm nach einem Rasierfoto für deinen Instagram-Account fragst, dann werden sie erkennen, dass du der Vollhonk bist, der du bist. Also zuckst du nicht, schluckst nur selten (der Barbiere merkt Sekundenbruchteile vor dem Schlucken, dass er das Messer einen Milimeter abheben muss), und versuchst cool und entspannt zu wirken, sonst endest du als Müllgrubenfund oder Drogenkurier. Wenn du der Männlichkeitsprüfung gewachsen warst, wird am Ende noch eucalyptusduftende Creme in die frisch geschliffene Wangen masiert und aus dem Spiegel grinst dich dein neues, babypoblankes Ich an.
Natürlich knöpfen dir die Typen den Touri-Tarif von 10 Euro ab. Und natürlich zahlst du. Denn, es ist ja eigentlich unbezahlbar.
Szene 2: „Na, ist das nicht wunderbar?“
Die Baltica läuft aus dem Hafen von Funchal, mit voll geblähten Segeln, hinter dem stolzen Anblick erhebt sich der noch stolzere der Stadt mit ihren hohen Steilwänden. Der Wind pfeift, die Yacht macht feine 8 Knoten. „So sind wir aber viel zu schnell und mitten in der Nacht da!“ „Egal, das ist viel zu schön um das jetzt abzubrechen.“
Wir sind mehr geworden, nun zu acht, es nimmt mehr den Character eines üblichen Mittelmeertörns an. Gestern Abend waren wir gemeinsam essen, die Stimmung ist gut. Irgendjemand, der auf der Luv-Seite sitzt reißt die Arme hoch und sagt etwas in Richtung „Wuhuhuu.“ Kann sein, dass das Ich war.
Dann kommt die Welle. 25 Minuten später beginnt das Entleeren diverser Mägen. Wer anfängt ist egal, Endstand ist jedenfalls 4:4. Also Seekranke gegen 4 seefest Gebliebene. Uffz: Ich gehöre zu den Letzteren.
Szene 3: Der Sherrif von Asserbaidschan
Ich fliege. Das ist schön. Sollte ich nicht auf dem Schiff helfen? Mein Fallschirm muss sich geöffnet haben, jetzt hänge ich an einer langen Leine am Schiff und fliege über eine europäische Frühlingslandschaft. Der Wind hebt mich auf und ab. Auf und ab.
Mit welcher Taste deaktiviert man nochmal den Fallschirm? Egal, das Fliegen ist viel zu schön. Unter mir hat in einem Flusstal jemand einen Rennkurs abgesteckt, er leuchtet mit weißen, hellen Würfeln in der Dämmerung. Vielleicht kann ich mir gegen später ein Rennauto oder ein Speedboot holen. Egal. Jetzt fliege ich. Das ist schön. Auf und ab. Auf und ab.
Leider kommt der Boden näher. Mario und Felix sind mit dem Schiff auch schon da. Logisch, mit meinem Fallschirm muss ich ja hinten dran hängen. Auf und ab. Dann geht es nicht mehr. Ich lande. „Der Mario ist hier der Sherriff vom Checkpoint Bravo in Asserbaidschan“, weißt mich Felix auf die Gepflogenheiten hin. „Wie hat er denn das geschafft?“, will ich etwas ungläubig wissen. „Hat er sich erspielt.“ Logisch, das macht ja Sinn. Vielleicht habe ich Mario unterschätzt.
Ich schlage die Augen auf. Rotlicht erleuchtet den Salon, ich liege zusammengerollt in meinem Schlafsack auf der kurzen Seite der Salonbank. In der Achterkabine ist zu zweit bei der Schräglage durch den hohen Seegang kein Auskommenn möglich. Eine Welle wirft das Schiff herum. Schmutzige Tassen klirren in der Spüle. Auf dem Boden liegen drei Maggitüten, ein Kaffeefilter und ein einsamer Segelhandschuh, Strandgut, dass die Brecher aus den Ablagen gefegt haben. Irgendwo auf dem Klo würgt gottserbärmlich eine arme Sau. Ich will nicht auf dieses Klo, aber ich muss bald.
Die Wirklichkeit hat mich wieder.
Szene 4: Dark Dessert Highway.
Der Mond drückt sich leichenblass durch die Wolkenfetzen. Plötzlich sehe ich die mächtigen Wellen ganz klar. In den Wanten singt der Wind, meistens um die 30 Knoten, in den Böen mehr. Wir haben nur ganz kleines Segel gesetzt.
Manchmal glaube ich, in den Wellen oder im Wind Stimmen zu hören. Ganz deutlich vor 20 Minuten eine Art helles Gelächter. Das ist der Rasmus, der mich verspottet. Oder ich drehe gerade ein bisschen durch.
Noch zwei Stunden, bis mich Hinrich an Deck ablöst. Gerade kommen wieder einige Kawenzmänner, sie kommen immer in Gruppen von vier oder fünf Riesenwellen. Dann kann es sein, dass das Deck von Gischt und brechendem Wasser geduscht wird. Passiert immer dann, wenn das Ölzeug gerade wieder einigermaßen trocken gepustet ist. Mein Arsch bleibt feucht, dafür habe ich aber wenigstens bei Windstärke 7-8 ziemlich wenig Sorge und Schiss. Die Welt ist, wie sie gerade ist.
Um mich auf Wache zu unterhalten singe ich Songs durch, die ich komplett auswendig kenne. Im Wind hört dich ja niemand. Gerade bin ich bei „Hotel California“, was gut ist, denn vor 15 Minuten war ich bei „Country Roads“ von John Denver, wofür ich mich ein bisschen schäme.
Egal, wird nie jemand heraus bekommen, wenn ich das nicht dummerweise blogge.
Szene 5: „Du bist aber auch ganz schön räudig.“
Lanzarote ist eine staubige Wüste die irgend ein Gott in eine nasse Wüste geschissen hat. Aber uns Gebeutelten kommt sie vor wie ein kleines Paradies. Festes Land.
So übel das Schiff nach dem Korkentanz über den Atlantik aussah, so schnell ist es mit vereinten Kräften wieder geputzt und aufgeräumt. Das schöne an Seekrankheit ist, dass sie ohne See schnell vergeht, so dass auch die betroffenen Crewmitglieder bei allem mit anpacken.
Die Laune steigt nach zwei Ankerbier sekündlich. Gegen 15.00 ist Landgang angesagt. Die Marina wirkt zwar ein wenig, als hätte ein Designbüro einen Urlaubsort zusammenkonzepiert, aber hier kann man sich freibewegen, ohne sich krampfhaft mit einer Hand festhalten zu müssen.
In einem Anfall von Albernheit beschließe ich, heute ein Duschsnickers mit in den Sanitärbereich zu nehmen, anstatt ein Duschbier. Worauf mich Felix, unser Drecksstudent, als „ganz schön räudig“ klassifiziert.
Ein Snickers unter einer heißen Dusche essen. Glück hat einen Namen. Das Leben ist schön.
Update 11: Lanzarote, 13.11.2019, Playa Blanca

Lanzarote ist … deprimierend.
Gut kommen wir gleich zu den Gegenaspekten. Ich bin auf einem Kamel geritten (Armes Tier, aber Bucket-List, Kamelritt, abgehakt) und der Vulkanische Nationalpark ist beeindruckend. Der Anfang allerdings ist schwer. Man steht vor einer Abzweigung mit Schranke, bezahlt 10 Euro pro Nase und steht dann erst einmal 30 Minuten im Stau. 10 Autos werden herausgelassen, 10 Autos fahren in den Nationalpark hinein, das heißt nein, sie fahren zum Busparkplatz mit Restaurant. Dort wird die ganze Kundschaft effektiv in Reisebusse verfrachtet und dann 40 Minuten im Kreis durch die Krater und Lavafelder gefahren. Dazu dröhnt in Spanisch, Englisch und Deutsch mehr oder weniger spannende Information aus Lautsprechern. Na gut, das meiste davon fand ich ganz interessant und wissenswert. Die sichtbare Gewalt der Erdkräfte in dem Vulkanfeld erzeugt ein gewisses Gefühl der Ehrfurcht. Nichts, was wir können, kann diese Gewalten beeinflussen, wenn sie sich irgendwo auf der Welt die Bahn brechen. Zwischendurch läuft Mozarts Requiem und bei der Einfahrt auf den Autoparkplatz „Also sprach Zaratustra.“

Soweit so gut. Kann man machen.
Der Rest der Insel ist so, dass ich nach einem Tag wieder weg will. Die karge, absolut freudlose Landschaft, die immer gleichen weißen Touristen-Bungalows erzeugen in mir ein Gefühl von leichter Verzweiflung. Über alles pfeift der ewige, gnadenlose Wind, selbst ein streunender Hund ist hier ein Zeichen von lebensfreundlichen Bedingungen, Nach drei Tagen Lanzarote würde ich Kinder treten, nach einer Woche mit aufgeschnittenen Pulsadern auf einem Hotelbett liegen. Wie Leute hier zwei Wochen Urlaub verbringen können, ist mir schleierhaft.
Tiefpunkt ist definitv die Inselhauptstadt Arrecife. In den besseren Teilen wirkt sie wie die Fußgängerzone von Bochum an einem kirchlichen Feiertag, in den schlechteren wie Beirut in einem Tagesschaubeitrag der 80er. Böge man um die Ecke und da stünde ein zerschossenes Panzerwrack, man wäre keine Spur überrascht. Die Hälfte der Läden ist pleite, vor dem Einkaufszentrum sitzen die Bettler.
Nach Madeira ist Lanzarote, als würde man aus einem Disneyfilm in eine Endzeitserie zappen. Man könnte hier gut ein südeuropäisches Spin-Off von „The Walking Dead“ drehen und bräuchte nicht mehr als ein paar Absperrbänder für Passanten.
Das größte (Wild-)Tier auf Lanzarote ist anscheinend ein Aasgeier. Enough said.
Genug über die Vulkaninsel abgelästert. Sie kann ja nichts für ihre Unwirtlichkeit, vermutlich wäre sie ohne Menschen und Heere von Touris sogar von einer fremdartigen Schönheit erfüllt. Ich bin froh dass es morgen weiter geht. Nächste Station: Gran Canaria. Alle sagen, da sei’s besser.
Update 12: Gran Canaria, 15.11.2019, Las Palmas
Na, das ging jetzt doch.
Die ersten beiden Drittel des 24-Stunden-Rittes nach Gran Canaria waren ein absolutes Segelvergnügen. Am Anfang war es reines Mittelmeer: volles Deck, Sonnenbrille, kaum Welle, angenehmes Lüftchen im Segel. Alle haben beste Laune, keiner ist seekrank. Gegen Abend sehen wir zwei Wale. Na ja, es sind ziemlich entfernte Rückenflossen, vermutlich zwei Grindwale, also Grad-noch-so-Wale, die man oft mit einem fetten Delfin verwechselt, aber: Auch das kann ich jetzt von der Liste streichen. Been there, done that.
Die Nacht wird von einem fantastischen Sonnenuntergang eingeleitet. 12 Dreamworks-Disney-Prinzessinen-Film-Animateure könnten keinen romantischeren programmieren. Auch die Nacht ist wie gezaubert. Der Vollmond überstrahlt am Anfang alles, taucht die moderaten Wellen in silbernes Licht, ein kräftiger Wind füllt die Segel, währen wir Fuerte Ventura an der Südspitze umrunden und uns an den Lichtern erfreuen. Horden romantischer Dichter*innen hätten in solch einer Nacht ganze zweite und dritte Zyklen ihrer Naturlyrik in Papier ergossen und auch mich verleitet sie zur schmonzettigen Altherren-Poesie im Stil von Hermann Hesse.
Gegen Morgen verdrängen böige Winde, fiese Seitenwellen und einsetzende Regenschauer diese Entgleisungen. Dem Meer sei Dank. Las Palmas, das vor uns auftaucht, ist viel größer und viel industrieller, als sich das der völlig uninformierte Individualreisende vorgestellt hat. Die Marina liegt weit außerhalb und ist vollgepackt mit ARC-Schiffen, also Kähnen, die in einer Woche die Massen-Regatta über den Atlantic mitfahren. Eine halbe Stunde muss unser Skipper Hinrich im Hafenbecken Kreise ziehen, bis ich in der völlig überforderten Rezeption der Marina in der Lage bin, an einen von zwei geöffneten Countern zu gelangen und zu erfragen, welcher Slot an den Stegen für die Baltica reserviert ist. Während der Wartezeit – ich musste sogar eine Nummer ziehen, wie auf dem Arbeitsamt – stirbt mein Handy-Akku, so dass ich die Informationen bezüglich des Liegeplatzes über den Funk der Hafenmeister an die Baltica weitergeben muss. Welche Szenen sich derweil an Deck abspielen, bleibt meiner Fantasie überlassen. Die Software der Hafenbehörde streikt, aber wenigstens kann ich noch Zugangskarten für Klo und Dusche abstauben.
Die Marina ist scheißhässlich, neben der Stadtautobahn und abgesehn von 4000 ARC-Yachten tot und unbelebt. Dahinter erheben sich Geschäftshochhäuser. Bis jetzt ist Gran Canaria in meinem Ranking der 10.000 Plätze, die man vor seinem Tod gesehen haben muss, nicht weit vor meinem Keller in Bad Cannstatt.
Aber ich habe ein Cafe gefunden, habe WiFi, sitze vor einem großen Glas spanischem Bier (Plörre) und genieße fritierte Auberginen-Stäbchen mit Palmherzensirup.
Ging mir schon schlechter.
Kann mir allerdings jemand verraten, warum man mit jeder* portugiesischen Wurstverkäufer*in im Supermarkt eine differenzierte Unterhaltung auf Englisch führen kann, aber Spanier*innen auf jede Anfrage, ob sie Englisch sprächen, mit einem Redeschwall in der Landessprache antworten, überzeugt, das würde schon jeder verstehen, wenn man es nur laut und eindringlich genug wiederhole? Francis Drake hatte völlig Recht damit, diese arroganten Diegos aus ihren Galeonen herraus zu ballern.
Scheiße, mein großer Tripp, er ist jetzt eigentlich vorbei. Das war der letzte Anleger, das erste Crew-Mitglied ist bereits auf dem Weg zum Flughafen. Gerade fühle ich mich wie Horatio Hornblower nach der Beförderung zum Kapitän, wie Jack Aubrey nach dem Sieg über die „Acheron“, wie Roald Amundsen nach der Nordwestpassage, wie Käptn Blaubär nach der Entdeckung der Schmatzinsel. Das Seemannsherz, das ein humorvolles Schicksal in den nicht all zu breiten Brustkorb eines Schwaben pflanzte, ist übervoll, meine Brust breiter als der Wendekreis des Krebses, mein Horizont heller als ein Sonnentag auf dem Atlantik.
Ich weiß, das ist lächerlich. Sonntag gehts zurück.
Update 13: Gran Canaria, 17.11.2019, Las Palmas Airport

Déjà-vu: Ich sitze in einem Flughafen und nutze das Wifi.
Las Palmas Aeropuerto ist wesentlich kleiner und weniger steril-gesandstrahlt wie Frankfurt. Dennoch macht sich das übliche Flughafengefühl breit. Aber diesmal habe ich Glück: Mein Flug geht direkt nach Stuttgart, keine Zugfahrten und Zwischenstationen, nur noch die S-Bahn bis in mein Viertel. Komfortabel. Ach ja: Das Sicherheitspersonal schimpft auf Spanisch auf Leute ein und ist auch auf Nachfrage nicht zu Englisch fähig. Spanien halt.
Déjà-vu: Ich gehe durch eine Kathedrale.
Die mächtige Bischoffskirche von Las Palmas ist eine echte Perle. Was am 26.10. in einer Kirche begann, eine große Reise, endet nun mit einem letzten Touribesuch in einer solchen. Aber der Unterschied zum Selfie-Rummelplatz in Santiago de Compostella könnte nicht größer sein. Ich bin fast alleine am späten Nachmittag unterwegs, nur ein älteres Ehepaar schleicht bedächtig und ehrfurchtsvoll durch das gegenüberliegende Schiff. Kostet ja auch drei Euro. Inbegriffen ist der Besuch des alten Bischoffs-Palais, der eine veritable Galerie sakraler Kunstwerke ist, für die ich leider kaum noch Zeit habe. Das Gebäude selbst ist spätgotisch, die Ausstattung Schwerbarock, mit diesem südlichen-okkulten Einschlag, inklusive erdolchter Heiliger, leidend augenrollenden Christusstatuen und streng dreinblickender Marien, alles von einer beunruhigenden Lebensechtheit erfüllt. In einer Seitenkapelle ruht ein mumifizierter Bischoff hinter Glas, er ist ganz kleingeschrumpft und beige, eine Art Taschenbischoff mit halbgeöffnetem Mund, den irgendjemand in Spitze und Seide gesteckt hat. Ein Blick auf die Uhr – ich muss aufs Schiff, Verabredung zum Großreinemachen. Schade. Die Altstadt von Las Palmas ist ganz nett.

Déjà-vu: Ich stehe im T-Shirt in heißer Sonne und frischem Wind.
Zum letzten Mal für lange, das macht ein wenig wehmütig. Die Bergwelt von Gran Canaria ist mehr als einen Blick wert, leider reicht meine Zeit nur für einen kurzen Tripp nach Ayagaures, einem Winzdorf an einem hoch gelegenen, nun fast ausgetrocknetem Stausee. Die scharfen Felsen hier sehen aus, als wäre man tief im Apachengebiet, mindestens 20 Spaghetti-Western könnte man vor dieser bombastischen Bergkulisse drehen. Gran Canaria ist eine Naturschönheit, wenn man die Küste hinter sich lässt, nicht so abwechslungsreich wie Madeira, aber immerhin.

Das Sträßchen ist voller Rennradfahrer, einmal rauf und runter ist vielleicht ein halber Tag, mit Stop an der Dorfkirche, wo eine kleine Tapasbar steht. Sonst gibts im Dorf nichts. Ich esse einen schönen Teller Pimientos und stelle fest, dass Rennradfahrer (maskulin) immer in ihren Klamotten aussehen wie alternde, hässliche Prostituierte, die ihren körperlichen Verfallsgrad durch möglichst enge und grelle Kleidung auszugleichen versuchen. Es scheint eine Art Tradition zu sein, in der Tapas-Bar ein Bier zu trinken. Ich verbiete mir das, auf der Straße passen kaum zwei Wagen aneinander vorbei und der Abgrund ist steil, aber ich bin mir sicher die Rennradfahrer wissen was sie tun. Sie gelten gemeinhin als vernünftige Verkehrsteilnehmer, haben ordentlich Knautschzone am Gefährt, dicke Schutzkleidung und sind den Berg hinab sicherlich sehr langsam unterwegs, besonders vor den engen, unübersichtlichen Kurven, da kann mit Alkohol im Kopf wohl gar nichts schiefgehen.
Déjà-vu: Ich hänge in einer Touristenhölle fest.

Eigentlich dachte ich, es sei eine gute Idee mit dem Wagen die berühmten Dünen von Maspalomas anzusehen, vielleicht mit nackten Füßen über einen Sandstrand laufen oder die Zehen in die Brandung stellen. Aber hier klebt ein synthetisches Großhotel neben dem anderen, die Zwischenräume hat man mit baugleichen Ferienwohnungen aufgefüllt. Bei den Hotels muss die Anweisung für die Architekt*in folgende gewesen sein: „Soll aussehen wie Las Vegas, nur viel kleiner, ok?“ Ich bin nicht in der Lage, einen Parkplatz in Strandnähe zu ergattern, man muss beim Fahren höllisch aufpassen, weil sich Reisebusse durch enge spanische Sträßchen quetschen („Nur viel kleiner, hörst du?„) und Scharen von hässlichen alten Männern in Unterhemd und Goldkettchen zwischen den geparkten Fahrzeugen hervorschießen. Entnervt gebe ich auf. Ich will in die Berge, weg vom Massentourismus.
Déjà-vu: Ich miete mir einen Wagen.
Wie immer ist gerade keiner mehr da, wie immer muss er erst mal telefonieren, wie immer hat er dann doch zwei Autos für mich und den verbleibenden Rest der Crew. Mein Plan scheint aufzugehen: Sich am Flughafen ein Fahrzeug mieten, dass ich am Morgen vor dem Abflug hier zurückgeben kann, ist die einfachste Art, mein Gepäck zu transportieren und heute noch mal ein wenig von der Insel zu sehen. Alleine das Taxi zum Aeropuerto hat etwa 30 Euro gekostet, der kleine Corsa kostet dagegen nur 35 mit Vollkasko-Sorglos-machsovieleKratzerwieduwillst-Paket. Das günstigste Auto bisher überhaupt. Es folgen weitere Abschiedsszenen, Altcrew, Neucrew, seit gestern Abend geht das so. Der Punkt kommt auf jedem Törn, aber nach drei Wochen an Bord fällt es tatsächlich schwerer wie nach 6 Tagen oder so. Der Corsa läuft mir rein, er fährt sich wie der kleine, zurückgebliebene Bruder von meinem Astra in Stuttgart, ich kenne mich gleich aus. Rein ins Auto, nächste Tanke, Cola, Wasser und Kekse kaufen. Dann aufs Gas treten, Richtung Süden, Radio hochdrehen.
Freiheit.

Im Radio läuft erst Cher („Believe“), dann „Personal Jesus“ (Depeche Mode), dann unvermittelt „Lili Marleen“ von Lale Andersen. Kein Scheiß, mitten im spanischen Popradio ist für fünf Minuten Landserfunk a la Frühjahr ’44 angesagt. Scheint so eine Art Hit geblieben zu sein hier, eventuell so wie „entre dos tierras“ bei uns. Kopfschütteln.
Egal. Ich will ans Meer, zu den Dünen von Maspalomas. Scheint mir ne gute Idee zu sein.
Déjà-vu: Ich lade ein Update und Bilder für den Blog hoch.
Der Beitrag ist mittlerweile viel zu lang, hat kaum noch Traffic, niemand liest so langen Scheiß. Aber thats how it is on the interet, Muchachos. Ich freue mich auf meine Wohnung. Aber die Reise war fantastisch.
Hier endet sie.
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