Titel sind typischerweise „Ich als Ressource“, „Antistresstraining“ oder „Resilienz im xxx-Beruf.“ In den letzten Jahren spült die Fortbildungstimeline zunehmend Kursangebote mit solchen oder ähnlich schönen Überschriften auf die Vorschlagsliste, die einladend so wirken, als würden sie mir das Berufsleben leichter und weniger anstrengend gestalten.
Ich weiß nicht, ob dieser Trend nur mein Berufsfeld betrifft. Ich fürchte nicht.
In der Regel, so schwant es mir, sitzt man einem krassen Lockvogel auf, der von einem Klingelton-Abo, Pay-to-win-Game-Hoster oder E-Zigaretten-Werber nicht perfider formuliert hätte werden können. Auf dem freundlichen Titelblatt sagt man dir: „Du lernst wie dein (Berufs)leben leichter wird.“ Auf der Botschafts-Ebene am Ende des Lehrgangs steht: „Du musst dich optimieren.“ Du. Dich.
Denn das Problem bist Du.
„Sie müssen sich immer sagen: Am System können Sie ohnehin nichts ändern.“ Ich weiß nicht ob dieser Satz auf einer Resilienz-Fortbildung genau so wörtlich fiel, wie ihn die Kollegin kolportierte. Aber von der grundsätzlichen Idee hinter dieser Fortbildungssparte passt diese Haltung wie die Faust aufs Weltbild.
Die Fortbildner*innen haben das Stewardessen-Lächeln gelernt, das Fach-Vokabular drauf und wissen, wie man empathisch Leute abholt und für sich einnimmt. Aber im Kern geht es immer um Selbstoptimierungsimpulse für das Personal. Du musst das verbessern, du musst Jenes neu organisieren, du musst deine Einstellung zu dir und deinem Beruf polieren, du musst besser, effektiver, kosteneffizienter für deine Dienstherren sein, du musst mehr Arbeitsleistung für dein Gehalt raushauen. Dass du Stress hast, ist deine falsche Taktik. Dein Fehler.
Fortbildner*innen sind vergleichsweise günstig und der Arbeitsleistungshebungseffekt billig erkauft. Damit es irgendwann besser geht, musst du tun, was wir empfehlen.
Moment mal, funktionieren Sekten nicht ein wenig auf der selben Argumentationsschiene?
Egal, du musst effektivere Stressbewältigungsstrategien entwickeln, denn „am System können Sie sowieso nichts verändern.„
Mir, als Demokraten, geht bei einem solchen Satz auf gut Schwäbisch das Messer in der Tasche auf, ach was, eine ganze Bazooka klappt sich hoch, wenn eine der Demokratie verpflichtete staatliche Institution Ihren Beschäftigten solche Weltbilder predigt.
Am System können wir etwas verändern. Hier, in der westlichen Welt. Als mündige Bürger eines Staates mit verbrieften Rechten. Shit, wir hätten geradezu die Pflicht dazu.
Denn in der BRD optimieren wir als Bürger Staat und Gesellschaft, nicht er uns als Arbeitskräfte. Und es ist geradezu erschreckend, dass ein Bildungsministerium, das großgestig einen „Leitfaden Demokratiebildung“ für die Schule zusammentippelt, dann auf Stressbewältigungskursen die resignative Unveränderlichkeit der Bedingungen propagiert.
Und das Problem, dass du dich gestresst fühlst, das bist ja auch meistens gar nicht du. Du fühlst dich ja nicht von dir selbst gestresst. Der Stress, der kommt von Ressourcenmangel, überforderten Vorgesetzten, verfallenden Investitionsgütern, problematischen Kund*innen und renitenten Eltern. Von Forderungen und Überforderungen, die an dich herangetragen werden, weil die ganze Sache eben von vorneherein Scheiße funktioniert und am Auseinanderfallen ist.
Weil man mal wieder das System optimieren müsste.
Aber das ist halt leider teuer. Fortbildner*innen mit eingefrorenem Zuckerlächeln sind im Vergleich viel günstiger. Dabei wäre die logische Strategie, wenn Stress von außen auf uns einprasselt, doch nicht sich zu überlegen, wie ich diesen Forderungen erholter begegne, sondern wie ich mir die Quellen des Ärgers besser vom Leib halte. Sich wegducken statt freundlich anzulächeln. Sich im Schneesturm auf die andere Seite des Deichs stellen, anstatt mental daran zu arbeiten, die Kälte zu ertragen.
Ich habe allen Resilienz-Versuchten einen Gegenvorschlag anzubieten. Vergesst die Kurse mit Butterbrezeln und Kaffee. An euch ist im Grunde nichts falsch, und wenn ihr wirklich den Eindruck habt, mit euch stimme was nicht, dann wendet euch an eine professionelle Therapeut*in, die weiß, was sie tut.
Falls ihr zu dem Schluss kommt, das ihr selbst als Tätige eigentlich ganz in Ordnung seid, und dass das, was euch zu schaffen macht, von Kräften außerhalb eures eigentlichen Selbstbestimmungsbereiches kommt, dann macht euch an die Optimierung des Systems.
Der erste Anfang wäre, öfters den Mund aufzumachen, Haltungen nicht nur mit den besten Freund*Innen gekränkt zu vertuscheln und auf Sitzungen und in Gremien seine Stimme zu erheben. Und sich die verdammte Enthaltung bei Abstimmungen zu verbieten und sein inneres Ja und Nein wieder zu entdecken.
Denn so läuft es in einer Demokratie.
Es gibt Parteien. Es gibt Berufsverbände. Es gibt Gewerkschaften. Es gibt gemeinnützige Vereine. Als Interessenvertretung, als Mehrheit können wir Dinge gestalten. Auch um- und anders. Viel zu viele legen resignierend jegliches öffentliches Leben beiseite und emmigrieren in die private Küche. Cocooning und Scheuklappen als vorletzte Station. Am Ende steht die Selbstoptimierung, um für andere besser zu sein, als für sich selbst. Besser wäre es um unser Wohlbefinden bestellt, wenn mehr es wagen würden, sich mit anderen für Dinge zu engagieren. Denn das Stewardessen-Lächeln ist am Ende immer ein Fake: Wir können etwas an ihrem System verändern.
„Wir als Ressource“