Baggersamstag in Bayern: Hier also der zweite Teil. Zum ersten Teil geht es hier. Ich kann verraten, dass sich die Stimmung verändern wird.
Von Burggen nach Inning am Ammersee sind es etwa 45 Minuten mit dem Auto über bayerische Landstraße, das heißt, dass die Straße ziemlich schnurgerade und neu ist, alle 2 Kilometer für einen Kilometer dreispurig wird, was dann ein schwarz lackierter BMW-Kombi zu einem wütenden Überholmanöver nutzt, obwohl ich eher 120 fahre wie 80. Ich bin kurz versucht zu glauben, dass es jedesmal der selbe schwarze BMW-Kombi ist, der mich wie in einem Horrorfilm jagt, aber dann erkenne ich, dass der schwarze Familien-BMW mit dem durchgetrappten Gaspedal einfach nur ein Stück bayerische Volkskultur ist wie das Bauerntheater, die Zitter oder die Königsschlösser. Apropos Volksgut: Die Hoffnung auf die Schmierkäsespezialität mit Brezen hält mich am Leben.
Inning, an der Nordspitze des Ammersees, ist wunderschön gelegen und weiß etwas aus dieser Lage zu machen. Neben einem vollen Parkplatz mit professionellem Einweiser erwartet mich das Restaurant mit angeschlossenem Biergarten und eine „Eis-Manufaktur.“ Schon hier schlägt mein Lifestyle-Alarmsensor an, denn man weiß, wenn jemand seinen Betrieb im Jahre 2019 „Manufaktur“ nennt, dann ist das meistens kein merkantilistischer Alleinherrscher sondern eine Klebefalle für Hipster und Bürgerliche. Während es in den 80ern und 90ern völlig selbstverständlich war, dass der Gino in seiner Eisdiele mit den Plastikstühlen vor der Tür natürlich sein Eis selber machte, ist das heute ein Werbemittel, das als Alleinstellungsmerkmal auf das Ladenschild gehört. Wobei natürlich „handgemacht“ auch so ein falsches Label ist, natürlich hat sich auch schon Gino aus Catania 1987 einer Rührmaschine für sein Eis bedient, aber geschenkt. „Manufaktur“ ist ja nur eine Modephrase.
Regenbedingt hat der mit einem wirklich schönen Blick gesegnete Biergarten leider geschlossen, so dass ich ins Restaurant selber gehe. Es ist relativ gut besetzt mit wohlsituierten Menschen, gehobenes Familienklientel, die Frauen nahezu alle in bunten Steppjacken oder -westen (Jaja, der Herbst kommt), die Ehemänner alle mit Designerbrille, Sehschwäche scheint so eine Art soziales Rangmerkmal zu sein. Niemand hier ist ganz jung oder ganz alt, außer die Bedienungen, die alle weiblich und sehr jung sind. Das Publikum hat aber beschlossen in der Mitte von allem zu leben. Der Tiefschlag ist unvermeidlich:
Obatzda gibts nur im Biergartenbetrieb.
Es wird also nichts mit Schmierkäse, der hipsterverseuchte Ammersee reißt mich aus dem proletarischen Baggersitz in die bourgeoise Speisekarte, die auf International Cuisine macht und Currys, Mediteranes und Fischgerichte anbietet. Scheiße gelaufen.
Ich denke also um und bestelle einen Beyond-Meat-Burger, erstens um mich mental meiner Umgebung anzupassen, zweitens um das Fleischersatzprodukt, über das sogar der Spiegel berichtet, anzutesten. Erster Eindruck: Der Edelburger für 17 Euro ist extrem klein, ungefähr MacDonalds-Cheeseburger-Größe, allerdings wenigstens gut drei mal so hoch. Ich habe also keine Chance in den länglichen Zylinder zu beißen, nicht mal wenn ich das Maul einer oberbayerischen Buntgefleckten hätte, zudem fürchte ich, ein Essen aus der Hand löst in diesem Ambiente eine veritable Stepjackenkrise aus. Ich habe also keine Chance, außer das Ding mit dem Messer zu filetieren und vorzugehen wie ein Chirurg, der eine komplizierte Hirnoperation vornimmt. Dazu gibts ein kleines Drahtkörbchen wenigstens heißen Pommes, und sonst … nix: Kein Coleslaw, auch kein grüner Salat, nicht mal drei Radieschen als Beilage sind drin.
Meine Laune sinkt noch weiter.
Überraschung: Der Burger schmeckt tatsächlich ziemlich nach Fleisch, nur die Konsistenz ist nicht hackfleischig sondern eher amerikanisch-brätartig, der Geschmack überzeugt aber völlig. Wenn ich es nicht wissen würde, würde ich sofort von einem Fleischprodukt ausgehen. Erstaunlich was heute geht. Damit ist die Beyond-Meat-Variante tatsächlich eine echte Alternative für alle Carnivoren, die bisher nicht auf das Dauerverfurzen von Regenwaldsoja verzichten wollten, allerdings nicht zu dem Preis. Wobei, wenn ich mir überlege, was die Designerbrillenfamilien hier beim Biometzger wohl für ein Steak für den dicken Weber ausgeben, dann eventuell schon.
Der Burger war klein, aber lecker, das Bier wenigstens von Augustiner. Zeit mich voll und ganz dem schicken Konsumleben Innings zu ergeben und die Eis-Manufaktur zu testen, die neben 12 Eissorten auch noch folkloristisch angehauchte Markenpullis verkauft (die Marken heißen alle „Edelvice“, „Alpensturz“ oder „Bergwild“ und arbeiten mit Geweihsymbolik) und columbianischen Kaffee ausschenkt. Waffel für’s Eis gibts nicht, nur Becher, Eis in Waffeln ist zu altmodisch, dazu gibt’s zum Becher einen elegant geformten Plastiklöffel, der von der Dicke her sicherlich einige Jahrzehnte im Plastikstrudel schwimmen wird. Aber ich habe ja Ökopunkte im Hauptgericht gesammelt, jetzt darf ich auch wieder Plastikmüll produzieren. Der Preis für einen kleinen Becher Eis geht sogar einigermaßen, ich entscheide mich für den hier beliebten Mix aus Klassik und Postmoderne: Stracciatella und Spicy Maracuja.
Niederlage zwei: Nach dem vegetarischen Burger ist auch noch das Eis ziemlich lecker.
Einzig der scharfe Nachgeschmack, der mich an roten Wrigleys-Spearmint-Gum erinnert, ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Nach einer Stunde Inning bin ich also völlig verhipstert und habe Angst, dass ich mir umgehend eine bunte Lodenjacke mit „Steilwand“-Logo kaufen werde, wenn ich nicht fliehe. Wie geplant als Abschluss das Buchheim-Museum am Starnberger See zu besuchen, würde mich nochmal 45 Minuten an Fahrtzeit kosten – einfach. Und ich habe Angst, dass es voller bunter Steppjacken und Designerbrillen sein wird.
Ich fahre also nach Hause.
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