Die Bar ist ein mystischer Ort.

Eine Art Tor zwischen Welten, einer der wenigen Kultplätze in der heutigen Zeit, an dem sich das magisch-animistische Weltbild des voraufklärerischen Europas noch entdecken lässt.

Wer jetzt glaubt, dass ich die Bar, einen Tresen zum Picheln, ein wenig zu hoch hänge, der hat noch nie hinter einer solchen gearbeitet.

Stellen wir zunächst fest, dass eine Bar ohne Zweifel ein trennendes Element ist, sogar eine Art massive Barriere; denn so sehr sie notwendig ist, damit Gäste ihr Getränk dort abstellen oder ihre Brieftasche nach dem letzten 10er durchwühlen, so sehr hält sie gleichfalls Trinkende vom Trinkgut ab, so lange nicht eine Vermittlungsinstanz, eine Entität der Grenzüberschreitung, also der Barmensch als Vermittler zwischen dem Diesseits der Trinkenden und dem Jenseits der Kühlschränke, Zapfhähne und Flaschenregale auftritt. Eine Schranke. Niemand käme auf die Idee, ungefragt einfach hinter den Tresen einer Kneipe zu laufen und sich ein Bier zu zapfen.

Gleichzeitig aber – und jetzt beginnt die Magie – ist die Bar auch ein Mittel der Grenzüberwindung, ein Kulminationspunkt von unterschiedlichsten existentiellen Aggregatzuständen, ein Katalysator, der die Synthese zwischen diversen Menschen beschleunigt. An der Bar kommt man sich näher, alleine, dass dieses Möbelstück einer ganzen Sorte von Trinkstätten einen Namen gibt, und zwar der Sorte, in der klischeehaft alleintrinkende Frauen und Männer nach Gesellschaft schielen, legt von dieser verknüpfenden Eigenschaft der Theke beredetes Zeugnis ab. Aber auch alleine der Akt der Kontaktaufnahme zum Barpersonal – also der Vorgang des Bestellens – reißt diese Grenze ein und sorgt dafür, dass ein Abglanz des Zapfhahns in die eigene Biographie des Abends integriert wird.

Die Bar: Mauer und Vereinigungsangebot in einem.

Seit etwa zwei Monaten betreibe ich nun gelegentlich bei abendlichen Veranstaltungen des KKT, des Kulturkabinetts Stuttgart, die kleine Bar in den Vorführräumlichkeiten und ich muss offen gestehen, dass ich den Job mittlerweile sehr liebe. Man muss natürlich vorrausschicken, dass der betreffende Tresen für eine ganz kleine Bar außergewöhnlich hübsch ist, mit bunten, leuchtenden Glasbausteinen als Front, alles selbst gebaut, wie die KKT-Mitarbeiter voll Stolz betonen. Zwei Leute passen bequem dahinter, bei drei wird’s schon eng, aber sie sehen dabei echt gut aus. Aber selbst wenn meine Theke optisch fad wäre, wäre Barmann immer noch eine sehr schöne Tätigkeit.

Es ist der Vorgang des Ausschenkens und das damit verbundene vorgehende Ritual: Getränkebestand vorher checken, nachfüllen, Teelichter aufstellen und anzünden, den Bestand an Gläsern aus der Spülmaschine wieder aufstocken. Ein bisschen selbst wie die Vorbereitung auf ein Date, nur dass man ein Date mit einer Rolle haben wird, eben der des Barmanns. Vielleicht ist es auch eine Art klerikale Investitur im Dienst am Getränk.

Der Barmann (ich behaupte Barfrau sein wäre ganz ähnlich, Erfahrungsberichte dürfen gerne in die Kommentare), der Barmann ist allseits beliebt, zumindest wenn er sich einigermaßen ok benimmt, denn er versorgt alle mit Getränken. Der Barmann muss andererseits aber auch allen Belangen zuhören, denn im Grunde ist er ja hinter seiner Theke fest installiert, er kann nicht weg. Als Barmann kann man sich schlecht weigern. Man will es auch gar nicht mehr. An einem Abend sieht der Barmensch alle Sorten von Leuten durch seine Hände gehen.

Man stellt sich auf jeden ein.

Automatisch habe ich mir mittlerweile eine Theken-Mentalität zugelegt. Ich höre immer zu und antworte freundlich. Ich höre sogar wirklich zu, was man im echten Leben von mir nicht immer verlangen kann, da muss Vortäuschen oft ausreichen. Aber in dieser Position wäre nicht Zuhören unangebracht. Viele Gespräche beziehen sich rein auf den Vorgang des Getränke-Überreichens und Kassierens, manche gehen weit darüber hinaus und entwickeln weltanschauliche Tiefe. Auch Flachheit. Ich habe mich bereits über Heavy-Metal-Getränke der 80er Jahre, die Cannstatter Papageien, und die erstaunlich hohe Qualität von Weinen aus dem Tankstellen-Sonderangebot unterhalten. Immer versuche ich so weit es irgendwie geht bestätigend zu sein, auch wenn ich beim Thema völlig ahnungslos bin – ein wenig wie ein Irrenarzt aus einem alten Schwarz-Weiß-Film. So sind nun mal die Regeln.

Es gibt auch – selten – Leute, die haben einen Schuss und/oder nerven mit ihrer Art. Tatsächlich scheint der Barmann eine Art Anziehungspunkt für verlorene Seelen zu sein. Ich schätze, über kurz oder lang muss ich ein Witzblatt-Gespräch führen, in dem sich jemand von seinem Ehepartner nicht verstanden fühlt. Man kann aber immer darauf setzen, dass zeitnah der nächste Kunde kommt und einen aus schrägen Konversationen erlöst.

Ich mag meine Barguy-Persönlichkeit.

Wein einschenken, zu allen nett sein, ab und zu ein Witz, wenig Meinung, viel Getränk. Letztendlich ist ein Tresen auch nur eine unendlich verlängerbare Achse, um die sich das Universum dreht. Und ich stehe am Glasscheiben-Kühlschrank und lächele freundlich am Drehpunkt der Dinge.

Schaut ruhig mal vorbei. Ihr werdet feststellen, dass ich bei dieser Tätigkeit ein sehr angenehmer Mensch bin. Ich, an meinem transzendenten Tor-Schranke im Mittelpunkt des Universums.

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