Wie reaktiviert man einen toten Blog? Das magnum opus der Internet-Nekromantie durchführen? Wo setzt man an und wie schreibt man weiter? Ein Kapitel schreiben, nachdem jahrelang kein Wort getippt wurde, ist eventuell schreiberisch die anspruchsvollste Aufgabe.

Kuckuck, ich habe ein weiteres Jahr raus. Wie das Kasperle aus der Kiste stehe ich gerade am Anfang eines weiteren Freistellungsjahres und freue mich, dass es mich noch gibt. Ich freue mich auch, wenn es da draußen noch ein paar Lesende gibt, die auch von den Untoten auferstehen. Wobei – gleich mal der erste Fail: Man kann nur von den Toten auferstehen. Sei’s drum, nach Jahren der Funkstille darf man auch mal faseln.

2019 und 2020 hatte ich ein erstes Jahr raus, im Seemannsjargon „Sabbatical“ genannt. Kann man alles hier nachlesen. Wir wissen was kam: Covid und Co führten zu einer sagen wir einmal ziemlich unerwarteten zweiten Hälfte meiner Auszeit, so dass ich im folgenden November unmittelbar wieder vor dem Formular zur Beantragung eines Freistellungsjahres saß, mit dem Ziel nach drei Jahren Ansparphase in die süße zeitweilige Freiheit entlassen zu werden. Geld kann man nicht mitnehmen, wenn es mal wirklich in die Kaschperlkiste geht: lieber vorher noch leben.

Damals wurde das noch alles ziemlich bedenkenlos durchgenehmigt. Gut, man hätte schon im Januar 2021 von Behördenseite wissen können, dass da ein massiver Lehrer*Innenmangel auf uns alle wartet und die Versorgungssituation eng werden könnte, aber wann hätten Verwaltungsorgane schon einmal weiter als vier Wochen in die Zukunft gedacht, vor allem wenn die üblichen Reaktionszeiten auf Probleme des Bildungswesens traditionell Schildkröten zum gelangweilt Stehenbleiben bringen? Heute würde ich mein Freistellungsjahr vermutlich nicht mehr bekommen und ich kenne diverse arme Kolleg*Innen, denen der Antrag jüngst abgelehnt wurde. Auch über die Intelligenz hinter dem Plan, seinen Zugpferden keine Pause zu genehmigen, weil man ja so auf unwegsamer Strecke garantiert schneller und weiter vorankommt, könnte man jetzt reflektieren, aber auch reflektieren ist nicht wirklich Kernangelegenheit der Verwaltungsebene von der Ministerin abwärts. Ich habe das mal „Galleonen ohne Quadcore“ genannt, und an der Besegelung jener Institutionen hat sich seitdem wenig geändert.

Sei’s drum: Ich habe mein Jahr, es beginnt offiziell nächste Woche, bis jetzt sind’s gefühlt noch Sommerferien. Stellt sich die Frage: Was hat der alte Knabe mit seiner Zeit vor?

„Gaspard“ ist mein neues alter Ego, was ungewöhnlich ist, denn eine gewisse Verwandtschaft hätte ich bisher zu einem älteren schmutzig-weißen Nissan Primastar nicht vermutet. Wer sich mit japanischen Kleintransportern nicht auskennt: Er ist komplett baugleich zum Renault Trafic oder zum Opel Vivano. Gaspar führte bisher ein langes Leben als Fahrzeug eines Malereibetriebes (das Logo und eine Verkündung des fünfzigjährigen Jubiläums sind noch als blasse Narben auf dem weißen Lack zu erkennen) und ein noch nicht ganz so langes als Selbstausbau-Kleincamper.

Ausgebaut hat Gaspard eine junge Frau aus dem Stuttgarter Umland, etwa so gut, wie ich das selber auch hinbekommen hätte, also so mittel. Dafür war er nicht teuer und er hat eine ziemlich fette Solaranlage auf dem Dach. Gaspard hieß unter ihr auch noch „Breschtling“, wer aus schwäbischen Gefilden kommt, weiß was das heißt und warum es zu mir nicht wirklich passt. Ich bastele jetzt seit einigen Wochen immer wieder ein bisschen an ihm herum und verbessere hier und da was (manchmal wird’s auch erst schlimmer, bevor es besser wird), und in dieser Zeit kommt mir mehr und mehr in den Sinn, dass wir beide so etwas wie ein alter grauer struppiger Gaspard sind: in die Jahre gekommen, aber wir laufen noch.

Gaspard heißt „Caspar“, aber umgangssprachlich halt auch „Ratte.“ Der Begriff kommt aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs (Ja ich weiß: überraschendes Thema bei mir) und Ratten gab’s da reichlich. Lange könnte ich jetzt über unsere bisherige wechselhafte Beziehung schreiben: Über die Unmöglichkeit, aus einem als LKW eingetragenen Kleintransporter (im Ernst, das geht: Für das Amt ist das Ding ein Lastwagen) ein behördliches Wohnmobil zu machen, über Versicherungen mit Preisunterscheiden im vierstelligen Bereich, über das Abenteuer, TÜV zu bekommen, wenn eine kleine Buchse defekt ist (geht in die Fachwerkstatt, geht niemals, niemals zum TÜV selbst) und so weiter, aber: Der Reanimations-Film hier ist ohnehin schon zu lang. Viel interessanter ist vieleicht ohnehin diese Frage:

Im Herbst 2019 stand ich vor einer riesigen, dramatisch angestrahlten Eisenbahnbrücke und sah links und rechts an den hohen Ufern eine faszinierende Stadt im nächtlichen Mondlicht liegen. Nachlesen kann man das hier . Damals sagte ich mir sehr innerlich ernst: Hier musst du mal länger sein! Aber nun ja, am nächsten Tag setzten wir die Segel und ich musste hinaus, hinaus auf hohe See.

Die Stadt mit der Brücke heißt Porto, sie liegt nördlich von Lissabon und sie scheint mir ein ganz guter Anknüpfungspunkt an jenen Moment vor fünf Jahren zu sein. Ich werde mich also mit Gaspard auf diese Reise begeben, über Paris, die Normandie und über die Pyrenäen, dann noch mal (L)A Coruna und wenn ich dann da bin – wieder zurück.

Heute habe ich noch das Spülbecken von Gaspard umgebastelt, alles andere ist schon lange drin. Fehlen noch ein paar Kleinigkeiten für meine Reise weit raus aus dem Alltag. Nächste Woche geht es los, Gaspard hat TÜV und hoffentlich Bock drauf. Um nicht jedem Bekannten immer alles erzählen zu müssen dient dieser sehr, sehr schöne Blog meiner Dokumentation und eurer gefälligen Information, falls man sich Fragen zu meinem momentanen Stand der Dinge stellt. Und damit kann’s nun losgehen.

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4 Comments

  1. Und warum habe ich so einen komischen User-Namen? Wo kann ich das denn ändern?
    Ich kann z.B. gerade nur über WordPress schreiben… da konnte ich mich mit meinen ’normalen‘ Daten einloggen…
    Ich bin zu alt für die digitale Welt, Halbalter 😉

    Niando

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    1. Keine Ahnung, warum das so ist – hast du noch einen alten WordPress-Account, der dich über deine email identifiziert? Dann musst du da in deinem Profil vermutlich was ändern. Ansonsten finde ich, dass dir „Magicaldeer“ sehr gut steht, Niando.

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